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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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erinnere mich, dass ich im selben Augenblick den Hubschrauber sah, der über dem Haus kreiste, manchmal mit den Rotorblättern der Felswand bedrohlich nahe kam und sich dann wieder wegtreiben ließ. Auch roch ich plötzlich den Geruch, der in der Luft hing, ein scharfer Geruch nach Verbranntem. Ich dachte an Schießpulver, dachte an Schwefel, an faule Eier, dachte, was man so denkt, nur um mich von meinem ersten Gedanken abzulenken, dass es nach verbranntem Fleisch roch. Drei wie unkontrolliert am Straßenrand zum Stehen gekommene Polizeiautos, bei zwei von ihnen die Türen noch offen, bei einem lautlos das Blaulicht an, zogen meinen Blick auf sich. Dann sah ich den Rettungs- und den Feuerwehrwagen, dann die Uniformierten, die über das Gelände verteilt waren, vielleicht ein Dutzend Mann, aber ich hatte sofort das Wort »Hundertschaft« im Kopf, und dann erst wurde ich auf die Garage aufmerksam, deren Metalltor schief in den Angeln hing. Direkt in der abschüssigen Einfahrt lag eine Plane, und es ging gar nicht anders, als dass ich darunter sofort die Umrisse eines Körpers erkannte.
    Ich weiß noch, wie vertraut mir die Situation vorkam, und die erste Erklärung ist natürlich, dass ich alles schon einmal im Kino oder im Fernsehen gesehen habe, aber ganz so einfach scheint es mir nicht zu sein. Zwar sagt es sich leicht, etwas sei wie im Film, doch wenn man dann in der Lage ist, denkt man nicht daran oder fokussiert sich gerade auf das, was nicht so ist. Der Wahrheit näher kommt, dass man die Differenz feststellt, und meine Wahrnehmung beschränkte sich zuerst ohnehin darauf, dass ich das Gefühl hatte zu schweben, als ich die paar Schritte herantrat.
    Dabei merkte ich gar nicht, dass Dorothea mich am Handgelenk gepackt hatte, aber als ich die Plane erreichte, spürte ich, wie sie mich plötzlich bremste. Ein Polizist kniete daneben auf dem Boden, und ich wusste, auf einen Wink von ihr würde er sie zurückziehen. Ich dachte an ein Pflaster, das von einer Wunde entfernt wurde, als ich ihre Finger einzeln auf meiner Haut fühlte, und die Frage war nur, ob es mit einem plötzlichen Ruck geschehen solle oder langsam und vorsichtig.
    »Sind Sie in der Lage, einen Blick darauf zu werfen?«
    Als ich nichts sagte, vergewisserte sich der Polizist bei Dorothea, bevor er das Gesicht abdeckte. Ich weiß nicht, was ich erwartete, aber es war keine Spur von Gewalteinwirkung zu erkennen, außer einem Rinnsal von Blut am linken Mundwinkel, die Wangen bleich und vielleicht schon ein bisschen wächsern, die Augen bis auf einen winzigen Spalt geschlossen, und doch eindeutig kein Bild des Schlafes, wie es eindeutiger nicht sein konnte. Nach einem kurzen Blick nickte ich dem Polizisten zu, und er zog die Plane wieder darüber. Dazu hatte ich mich hinuntergebeugt, und als ich mich aufrichtete, suchte ich nach Agata, die weiter hinten stehengeblieben war und von dort aus alles verfolgte, ohne wirklich etwas zu sehen. Ich beobachtete, wie sie ihre Hände vor die Augen schlug und sekundenlang Augen und Mund und dann nur mehr den Mund damit zuhielt. Da wurde mir bewusst, dass ich den Kopf schüttelte und dass mir das erst durch ihre Reaktion klargeworden war. Ich wartete einen Moment und sah Dorothea an, die mich jetzt am Unterarm berührte und den Polizisten mit einer Handbewegung entließ.
    »Tut mir leid, aber er ist es nicht«, sagte ich in dem paradoxen Gefühl, den Toten dadurch zu verleugnen. »Ich sehe ihn zum ersten Mal.«
    Ich hatte bis dahin vermieden, Daniels Namen auszusprechen, und vermied es noch immer. Es war Inspektor Hule vorbehalten, das zu tun, als er schließlich auf dem Schauplatz erschien. Ich kann nicht sagen, wieviel Zeit verging, vielleicht eine Viertelstunde oder zwanzig Minuten, und Agata und ich saßen längst etwas abseits auf dem Rasen. Ich hatte zugehört, wie Dorothea in ihr Telefon gesprochen und mit einem Blick auf mich »negativ« gesagt hatte, um dann ganz an mich gewandt hinzuzufügen, der Inspektor bitte mich, noch einen Augenblick zu bleiben, er komme gleich. Es war sein freier Tag, und doch tat er so, als wäre es ein Versäumnis, nicht als erster zur Stelle gewesen zu sein, als er nur ein paar Meter von uns entfernt aus seinem Auto sprang und den Eindruck erweckte, dass er am liebsten in alle Richtungen gleichzeitig losgelaufen wäre. Er sah sich um, warf seinen Kopf ruckartig hin und her und trat weniger entschlossen als Entschlossenheit mimend mit ein paar großen Schritten auf Agata und mich zu.

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