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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Leben bestimmten, das von außen betrachtet als notwendig erschien, als hätte es nie eine Wahlmöglichkeit gegeben. Es widerstrebte mir zu denken, Daniel könnte an Christophs Stelle in dem Haus neben der Oswaldschen Villa sitzen, und doch dachte ich es um so mehr, als ich es nicht glaubte und auch nicht glauben wollte. Ich plazierte ihn mutwillig an die Seite von Manon, sah ihn mit ihr auf der Veranda des Hauses, ein Paar wie tausend andere Paare, und vermochte nichts anderes darin zu sehen als eine weitere Form des Übels. Es war unmöglich, dass er seine Rolle so spielte wie Christoph, und wenn ich mir vorzustellen versuchte, wie er sich in dem goldenen Käfig machen würde, waren die beiden Bombendrohungen weit weg, aber ich durfte meine Gedankenspielereien nicht über einen bestimmten Punkt hinaustreiben, oder sie endeten erst recht in Mord und Totschlag.

7
    Es war in der Woche vor dem Herz-Jesu-Sonntag, als die Bombe explodierte. Ich schreibe das so hin, weil die Zeitungen einen Punkt daraus machten, nicht nur die lokalen Blätter, sondern auch die in Wien, und nicht weil ich selbst an die kirchlichen Festtage glaube oder gar das Jahr danach einteile, und außerdem wurde mir diese Verstrickung ins Religiöse immer unheimlicher. Es ist bezeichnend, dass Herr Frischmann sich daran berauschte, und wenn man den Artikel liest, den er darüber verfasste, muss man den Eindruck gewinnen, er habe versucht, das Wort so oft wie nur möglich in den paar Spalten unterzubringen, »Herz Jesu« hier, »Herz Jesu« da. Darin ist auch die Rede von dem Freiheitskampf gegen die Franzosen, auf den die Tradition zurückgeht, nur dass der zweihundert Jahre her war und es weit und breit keine Franzosen mehr gibt, außer manchmal ein paar vereinzelte Urlauber, und man sich selbst zusammenreimen musste, was Herr Frischmann mit seinem Geraune meinte, es würde ihn nicht wundern, wenn sich herausstellte, dass der Bombenbauer sich in einem vergleichbaren Freiheitskampf sah wie die Helden damals, die das Schicksal des Landes dem Heiligen Herzen Jesu weihten. Ich erwähne das, damit man sich ein Bild machen kann, und auch wenn man von Herrn Frischmann einiges gewohnt sein mochte, war das natürlich vollkommener Irrsinn, und er begab sich damit in Gefilde, in denen die Luft stickig war vor Ressentiments und Verschwörungstheorien. Er schrieb, die Explosion der Bombe sei zwar ein trauriger Anlass, aber eben doch ein Anlass, sich zu besinnen, und dann ging es in einem wilden Durcheinander um Werte, Ideale und alles, was sonst noch verlorengegangen sei, und um den notwendigen Kampf, es wieder zurückzugewinnen, so aussichtlos er einem auch erscheinen möge. Auch in unserer Gegend gab es immer noch die Tradition der Bergfeuer, mit denen das Fest begangen wurde, und es war nicht das erste Mal, dass bei den Vorbereitungen in der Woche davor, in der immer schon gezündelt wurde, ein Unglück geschah.
    Ich war in der Schule, als mich die Nachricht erreichte. Die Sekretärin des Direktors kam in meinen Unterricht und forderte mich auf, ihr zu folgen, es gebe einen dringenden Anruf. Das war ungewöhnlich, und als ich hinter ihr hereilte, rätselte ich, wer es sein könne. Ich kam nicht darauf, aber als dann Agata am Apparat war, brauchte sie nur ein Wort zu sagen, und ich wusste Bescheid. Ohne sie ausreden zu lassen, versicherte ich ihr, in ein paar Minuten bei ihr zu sein, und stürzte ohne Erklärung hinaus. An dem Tag hatte ich zum Glück das Auto dabei, und als ich vor dem Bruckner ankam, hatte Agata schon die paar frühen Gäste verscheucht und geschlossen und verlor keine Sekunde. Als sie sich neben mich setzte, sah ich, dass sie unnatürlich bleich war und dass ihre Unterlippe in einem fort zitterte. Die Sekretärin des Direktors hatte gesagt, sie lasse sich nicht abwimmeln und gebärde sich wie eine Verrückte, aber nichts hätte weniger zutreffen können. Einzig dass sich ihr Akzent bemerkbar machte, war ein Zeichen für mich, was für eine Anstrengung es für sie bedeutete, nicht die Fassung zu verlieren.
    »Es ist gerade erst passiert«, sagte sie. »Es kann noch keine halbe Stunde her sein. Einer von meinen Stammgästen hat mich angerufen. Er war zufällig in der Nähe und hat es mitbekommen.«
    Ich war schon wieder losgefahren, als ich sie fragte, wo, und merkte erst später, dass ich zufällig oder instinktiv die richtige Richtung eingeschlagen hatte. Es musste im Dorf sein, und wenn ihre Angaben stimmten, war es entweder auf dem Hof,

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