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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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am Fluss sei, sagte ich nein. Wahrscheinlich war ein Polizeiwagen ohnehin schon auf dem Weg, um das zu überprüfen, und er brauchte meine Aussage gar nicht. Er sah mich eine Weile an, als wäre er unschlüssig, ob es sich überhaupt lohne, mit mir weiterzumachen, und dann stellte er mir alle Fragen, als interessierten ihn meine Antworten nicht, weil er sie kannte, und er arbeitete nur pflichtschuldig die Liste seines Verhörs ab, wann Daniel zum letzten Mal bei mir gewesen sei, ob es stimme, dass ich ihm bei der Gelegenheit Geld gegeben hätte, ob es sich wirklich um eine größere Summe gehandelt habe und ob ich wisse, wofür er das Geld brauche und wo er sich aufhalte, wenn ich schon glaubte, es könne auf keinen Fall irgendwo ganz in der Nähe sein.
    Ich versuchte, mir keine Blöße zu geben, aber als er mich fragte, ob Daniel mich erpresst habe, fuhr ich ihn an, wie er darauf komme. Er wirkte gleichzeitig erschreckt und belustigt über meinen Ausbruch und meinte, es werde geredet, und als ich wissen wollte, was denn geredet werde, schien er seine Worte abzuwägen, man müsse nichts darauf geben, weil die Leute immer eine Meinung hätten, auch wenn sie nichts wüssten, und sprach dann doch unumwunden aus, es heiße, ich sei dem Jungen sehr nahe gewesen. In seinem Gesicht konnte ich nichts Zweideutiges erkennen, aber er schien auf eine Erklärung zu warten, und als ich schwieg, sagte er, wenn ich darüber jetzt nicht sprechen wolle, könnten wir das gern bei anderer Gelegenheit tun und er würde sich freuen, wenn ich ihn demnächst einmal wieder in der Wache besuchen käme.
    Ich musste an der Gruppe vor der Theke vorbei, um ins Freie zu gelangen. Die Männer sahen mich an, als sollte ich ihnen wenigstens jetzt Rede und Antwort stehen, und Herr Frischmann hielt sich in ihrer Mitte und schlug nervös auf Brusthöhe seine geballten Fäuste zusammen. Keiner verlor ein Wort, und sie wichen zurück, um Platz zu machen, als ich mich näherte, obwohl ich, nach ihren Mienen zu schließen, immer noch eher erwartet hätte, dass sie sich auf mich stürzten. Ich war schon an der Tür, als Agata hinter mir hereilte und mich fragte, ob ich später noch einmal zurückkommen würde, damit wir uns in Ruhe unterhalten könnten. Sie achtete jetzt nicht mehr darauf, dass alle sie hörten, und sagte mit einem Blick in die Runde, sie habe um zehn Sperrstunde, aber es sei ja Sonntag, und wenn die Herrschaften sich entschlössen, bald nach Hause zu gehen, versuche sie, schon früher Schluss zu machen.
    Draußen suchte ich eine Telefonzelle. Weil ich noch immer kein Handy hatte, musste ich durch die halbe Stadt laufen, bis ich eine fand, die nicht kaputt oder außer Betrieb war. Ich wollte unbedingt noch den Direktor anrufen, um wenigstens guten Willen zu zeigen, und solange es vor den frühen Abendnachrichten im Fernsehen geschah, würde ich kein Befremden auslösen. Die Stadt wirkte wieder einmal wie ausgestorben, und als ich die Hauptstraße hinunterging und weit und breit die einzige Menschenseele war, hörte ich meine Schritte wie die eines anderen. Ich wagte nicht, stehenzubleiben, weil ich Angst hatte, sie würden dann nur um so deutlicher zu vernehmen sein, und wandte mich im Gehen immer wieder um, obwohl es keinen Zweifel gab, dass niemand da war außer mir.

4
    Obwohl ich die aggressive Stimmung im Bruckner vom ersten Augenblick an wahrgenommen hatte, staunte ich, von Agata zu hören, wie sehr die Diskussion an der Theke nach meinem Abgang noch einmal aufgeflammt war. Die Männer waren offenbar sicher, dass ich mehr wusste, und nahmen mein langes Gespräch mit Inspektor Hule als Bestätigung, dass er einen Verdacht gegen mich hegte oder dass jedenfalls auch die Polizei glaubte, von mir Informationen bekommen zu können. Sie erinnerten sich plötzlich wieder, dass es doch schon damals im Sommer, den ich mit den beiden Jungen draußen am Fluss verbracht hatte, Geschichten gegeben habe, aber um welche Geschichten es ging oder gar die Frage, ob gerechtfertigt oder nicht, und dass der Sommer bald zehn Jahre her war, drohte unterzugehen. Im Grunde genommen schien es ohnehin klar. Was sollte ein Lehrer mit zweien seiner Schüler ein paar Wochen lang in einem Haus im Nirgendwo machen, das kaum den Namen verdiente, wenn er nicht »etwas Abartiges« mit ihnen vorhatte? Entweder er war »vom anderen Ufer« und kam ihnen zu nahe, oder er »tickte nicht richtig« und indoktrinierte sie mit seinen Ansichten, die ihn wegen ihrer Verranntheit

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