Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
Vom Netzwerk:
doch, dass sie nicht so schnell einknicken würde. Wir hatten so oft über Daniel gesprochen, und sie war immer auf seiner Seite gestanden, hatte ihn für die abwegigsten Dinge verteidigt und gesagt, man müsse ihm Zeit lassen, er würde sich früher oder später schon fangen, wenn ihr wieder einmal eine Ungeheuerlichkeit oder eher auch nur eine Lappalie über ihn zugetragen wurde. Ich musste an die beiden Male denken, die ich damals im Sommer bei ihr geschlafen hatte, und dass dem jeweils eine Begegnung mit dem Reverend vorausgegangen war. Das erste Mal geschah es, nachdem er mich in der Raststätte angesprochen hatte und ich ganz außer mir zu ihr lief und von ihr aufgenommen wurde wie ein verstörtes Kind. Das zweite Mal, nachdem er an den Fluss hinausgekommen war, und bei dieser Gelegenheit erzählte ich ihr auch, die beiden Jungen und Judith hätten die Nacht davor dort verbracht, und wie um der Geschichte sofort die Spitze zu nehmen, erwiderte sie nur, Judith sei schwanger und sie könne sich vorstellen, dass es Daniel um den Verstand bringe, wenn er davon erfahre. Ich erinnerte mich an die Sachlichkeit, mit der sie das sagte, und daran, wie ich sie dann ärgerte, wir seien nicht im Mittelalter und es gebe keinen Grund, eine Affäre daraus zu konstruieren. Wir hatten die ganze Nacht geredet, und in ihrem Zimmer machte sich in einer unentschiedenen Dämmerung schon das erste Licht des Tages bemerkbar. Ich sah sie an, doch es war noch nicht hell genug, um ihren Gesichtsausdruck erkennen zu können. Wahrscheinlich spiegelte sich aber da schon die Gewissheit darin, die ich immer an ihr wahrzunehmen glaubte, wenn sie über Daniel sprach.
    »Mich wundert, warum du ihn auf einmal so schnell aufgibst«, sagte ich daher jetzt auch. »Du hast doch sonst nie etwas auf ihn kommen lassen.«
    Dass die Indizien gegen ihn sprachen, wusste ich selbst, und im Grunde war das einzige Argument, das ich für Daniel hatte, dass er nicht so dumm wäre, sich so ungeschickt zu verhalten, dass alle Spuren auf ihn deuteten. Also gab ich ihr zu bedenken, ob er wirklich statt mit einer Bombe mit der Idee einer Bombe drohen würde, oder wie man die Bauanleitung nennen wolle, von der man zudem nicht einmal wisse, ob sie überhaupt funktionierte. Ich fragte sie, ob er sich als Ort dafür dann ausgerechnet die Stadt ausgesucht hätte, in der er zur Schule gegangen war, und erinnerte mich nicht nur im selben Augenblick, dass ich das den Direktor schon gefragt hatte, sondern dachte zu meinem Schrecken plötzlich auch, dass das Daniel tatsächlich ähnlich sehen würde.
    »Er ist ja zu allem möglichen imstande«, sagte ich und versuchte, nicht zu abwiegelnd zu klingen. »Aber man muss doch annehmen, dass er bei aller Verrücktheit zumindest Vorkehrungen treffen würde, die jeden Verdacht von ihm weglenken.«
    Es hörte sich nicht sehr überzeugend an, und als ich schwieg, sah sie mich an wie einen, der eine verlorene Sache vertrat und ihr mit jedem weiteren Wort nur schaden konnte.
    »Ich bin mir da nicht ganz so sicher«, sagte sie wie zur Bestätigung, dass ich ihr nichts vormachen konnte. »Hat er nicht eine lange Geschichte darin, genau das zu tun, was man am allerwenigsten erwartet?«
    Dann fing sie noch einmal damit an, was ihr an dem Abend alles zu Ohren gekommen sei, und als sie sagte, sie habe mich bis aufs Blut verteidigt, glaubte ich, sie falsch verstanden zu haben.
    »Mich?«
    Jetzt erst sah ich ihre Müdigkeit. Ich wusste nicht, wann sie mit ihrem Dienst begann, aber die Lauferei im Bruckner musste nach zehn Jahren Spuren hinterlassen, auch wenn das Herumstehen hinter der Theke und die Gespräche mit den regulären Gästen oder deren Schweigen vielleicht noch anstrengender war. Das Licht der Lampe fiel auf ihr Gesicht, und ich erinnerte mich, wie ich ihr nach der zweiten Nacht damals vorgeschlagen hatte, gemeinsam ein paar Tage wegzufahren. Daniel war da schon nur mehr von Zeit zu Zeit an den Fluss hinausgekommen, und Christoph gar nicht mehr, und ich sagte mir, ich könnte mir die Enttäuschung des Wartens ersparen und mit ihr ein langes Wochenende in Istanbul verbringen. Es war natürlich illusorisch gewesen, weil sie mitten im Sommer nicht konnte, aber auch sonst reagierte sie, als hätte ich eine Grenze überschritten, und behandelte mich bis tief in den Herbst immer wieder wie einen von den Unverbesserlichen, die wochenlang vor sich hin brüteten und ihr auch nach der zweiten und der dritten Abfuhr unweigerlich irgendwann mit

Weitere Kostenlose Bücher