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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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gesehen hatte. Ich zögerte, als er den Stuhl neben sich hervorzog und einladend auf die Sitzfläche klopfte, wie wenn er ein dort liegendes Tier tätschelte oder beschwichtigend niederzuhalten versuchte. Nachdem ich noch einmal über unser Gespräch am Dienstag abend nachgedacht hatte, war ich nicht mehr sicher, ob er da nicht Katz und Maus mit mir gespielt hatte. Vielleicht hatte er schon einen Verdacht gehabt und die erste Bombendrohung nur kleingeredet, um mich zum Sprechen zu bringen, und ich war ihm mit seiner Leutseligkeit in die Falle gegangen, ohne es zu ahnen. Sein Räsonieren über das ganz normale Leben, seine Skepsis, wie schwer es einem falle, wenn man nichts habe, wofür man zu sterben bereit sei, selbst seine anfängliche Einsilbigkeit, all das kam mir jetzt vor wie ein Köder, auf mich zugeschnitten, damit ich Vertrauen fasste, weil ihm seine Menschenkenntnis sagte, worauf ich anspringen würde, oder weil es eine Strategie war, die er aus dem Lehrbuch hatte. So naiv wollte ich nicht noch einmal sein und mich mit einem Polizisten in dieser freundschaftlich nachlässigen Art unterhalten, als würde ich ihm nicht mit jedem nichtssagenden Satz Informationen liefern. Daher wartete ich, während er irritierend beharrlich mit seinem Klopfen fortfuhr, eine Handbewegung, die immer drängender wurde, immer unwilliger. Ich ließ eine volle Minute verstreichen, und als ich mich schließlich in Bewegung setzte und zu ihm ging, glaubte ich, gewappnet zu sein, und traf dann doch auf einen Spieler, der gerissener war, als ich ihm zugetraut hätte.
    »Überrascht?«
    Bereits sein erstes Wort war angetan, mich aus der Reserve zu locken. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und konnte einen selbstzufriedenen Ausdruck nicht unterdrücken, als ich mich neben ihn setzte. Ich hatte nichts zu verbergen, doch als er mich ansah, merkte ich, dass meine Mundwinkel zitterten, und mit meiner Gelassenheit war es vorbei.
    »Warum sollte ich überrascht sein?«
    »Na ja, alle scheinen doch zu denken, dass es sich um einen ehemaligen Schüler von Ihnen handelt«, sagte er. »Zwar bin ich mir da nicht so sicher, aber das kommt nicht alle Tage vor. Oder haben Sie mir am Dienstag etwas verschwiegen und es da schon gedacht? Dorothea jedenfalls sagt, Sie hätten auf sie ausnehmend nervös gewirkt.«
    Als ich mich rechtfertigen wollte, lachte er nur. Er sagte, es gebe keinen Grund zur Aufregung und ich solle erst einmal etwas trinken, bevor ich mich um Kopf und Kragen redete. Obwohl ich ablehnte, bestellte er zwei Schnäpse und wartete, bis sie kamen, bevor er das Gespräch wieder aufnahm.
    »Können Sie sich vorstellen, dass es er ist?«
    Ich wollte nein sagen, zuckte aber nur mit den Schultern.
    »Einmal angenommen, er wäre es«, sagte er, ohne dass ihn meine Reaktion in die eine oder in die andere Richtung beeinflusst hätte. »Warum würde er so etwas tun?«
    »Wenn ich das wüsste«, sagte ich. »Sagen Sie es mir.«
    »Es gibt keine Forderungen außer diesem biblischen Aufruf zur Umkehr. Das macht ihn entweder zu einem nicht ernst zu nehmenden Spinner oder wirklich verrückt und gefährlich. Noch der frustierteste kleine Verlierer lässt sich etwas einfallen, um davon abzulenken, dass es nur um ihn selbst und seine eigene Jämmerlichkeit geht.«
    Ich hatte ihn noch nie so aufgebracht erlebt und bekam mehr und mehr das Gefühl, er brauche mich nur, um seine Gedanken laut zu entwickeln. Er hatte sich offenbar über Daniel kundig gemacht und kam nach diesen paar allgemeinen Sätzen auch gleich auf ihn zu sprechen. Dabei wurde er abwechselnd lauter und leiser, als könnte er sich nicht entscheiden, ob die Männer an der Theke mithören sollten oder ob es nur mich etwas anging.
    »Ein obsessiver Leser, wie ich höre«, sagte er, als würde das allein schon etwas beweisen. »Was können Sie mir dazu sagen?«
    »Sie wissen, dass ich Deutsch unterrichte. Was sollte ich Ihnen sagen, als dass er ein guter Schüler war? Für mich ist es das Normalste auf der Welt, wenn einer viel liest.«
    »Die Frage ist doch, warum.«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich brauche keinen Grund.«
    »Lesen als Mittel, um der Wahrheit zu entfliehen?«
    »Vielleicht auch das«, sagte ich. »Aber wenn es so ist, warum nicht? Schließlich tut es niemandem weh. Außerdem, welcher Wahrheit?«
    »Das fragen Sie mich doch nicht im Ernst. Der Wahrheit, dass alles ist, was es ist, und nicht mehr. Dass es sinnlos ist, nach dem Sinn zu fragen. Wenn Sie wollen, können

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