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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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verlangte.
    »Die Israelitische Kultusgemeinde wird das sicher wieder anders sehen«, sagte er. »Wenn sie Wind davon bekommt, macht sie daraus ohne Zweifel eine Staatsaffäre.«
    Ihm war nicht entgangen, dass ich ihm zugehört hatte, und er sah mich über die Köpfe der Männer hinweg triumphierend an. Ein paar Augenblicke lang hielt er abwartend die Hand mit der Zigarette vor den Mund, was der oberen Hälfte seines Gesichts einen süffisanten Ausdruck verlieh. Dann nahm er einen langen Zug und sprach mich mit dem Ausatmen des Rauchs unmittelbar an.
    »Was meinen Sie dazu, Herr Lehrer?«
    Ich tat überrumpelt.
    »Was ich meine?«
    »Ja, was Sie dazu meinen, Herr Lehrer«, sagte er. »Sie sind doch ein studierter Mensch und können uns sicher erklären, warum es in Wien regelmäßig ein Erdbeben auslöst, wenn hier einer ohne Erlaubnis von oben etwas um ein paar Millimeter verrückt.«
    Er war jetzt voll Spott, und ich ärgerte mich, dass ich ihm geantwortet hatte, statt einfach zu schweigen und ihn reden zu lassen, wie ich es seit meinem Eintreten vorgehabt hatte.
    »Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen«, sagte ich ausweichend und gleichzeitig so feige, dass ich mich erbärmlich fühlte. »Ich habe von der ganzen Sache gerade erst erfahren, und solange ich die Fakten nicht genauer kenne, halte ich lieber den Mund.«
    Die Männer sahen mich immer noch an, als wären sie bereit, sich auf Kommando auf mich zu stürzen, und von der Vorstellung, sie könnten sich zusammenscharen und in ungewissem Auftrag losmarschieren, bekam ich eine Gänsehaut. Ich hörte nur mit halbem Ohr hin, als Herr Frischmann ihnen erklärte, dass gar nicht gesagt sei, ob der Bauplan der Bombe überhaupt funktioniere, und die Polizei das erst überprüfen müsse, und wandte mich wieder Agata zu, die mir ein Glas Wein eingeschenkt hatte und sich selbst einen Schluck nahm. Es war ungewöhnlich, dass sie mit einem Gast trank, und mir wurde sofort klar, dass sie es nur tat, um mich von der Gruppe loszueisen. Sie blieb auch noch eine Weile bei mir stehen, als sie von woanders im Lokal gerufen wurde, und führte sichtbar für alle ihre Unterhaltung mit mir fort, fragte mich, wo ich am Donnerstag gewesen sei, und blickte noch einmal in die Runde, als ich erwiderte, ich hätte in Ruhe nachdenken müssen und sei deshalb zu Hause geblieben.
    »Seit Donnerstag baut sich das alles hier auf«, sagte sie. »Da hat sich herumgesprochen, dass das Bild in der Zeitung Daniel zeigen könnte, und nach dem Brief gestern war eine Stimmung wie vor einer Lynchjustiz.«
    »Aber es ist doch gar nichts passiert.«
    »Das kann man so oder so sehen. Auf jeden Fall würden die Männer am liebsten die Gegend am Fluss durchkämmen, bis der Spuk aus der Welt ist. Dabei haben sie nichts in der Hand als das, was Herr Aschberner ihnen erzählt hat.«
    Ich hatte natürlich auch schon an das Haus gedacht, es dann aber wieder verworfen, weil es ganz einfach nicht sein konnte.
    »Die glauben doch nicht, dass Daniel dort ist.«
    Ich weiß noch, wie Agata mich ansah, als ich das sagte. Es war der Blick, den sie sonst für die hartnäckigsten ihrer tagtäglichen Klienten reserviert hatte, sobald die ihr weismachen wollten, dass sich ihr verfahrenes Leben noch zum Besseren wenden würde, und ihr Geschichten mit gutem Ausgang erzählten, und wenn es nur der wäre, dass sie bald nicht mehr ins Bruckner kämen, weil sie auf ihre alten Tage in den Süden oder sonstwohin wollten oder eine neue Frau gefunden hätten und damit wieder im Spiel wären und dem Teufel oder dem Herrgott noch einmal ein Schnippchen schlagen und von der Schippe springen könnten. Sie ging auf mich genausowenig ein, wie sie auf diese Dampfplauderer jemals eingegangen war, und sagte mit der Müdigkeit und Abwehr von Jahren sinnloser Gespräche, sie müsse sich wieder ums Geschäft kümmern, bevor sie mich noch einmal am Ärmel packte.
    »Übrigens ist seit ein paar Tagen auch der Inspektor allabendlich hier und tut auf penetrante Weise privat. Dreh dich nicht um. Er sitzt direkt hinter dir und beobachtet uns.«
    Ich konnte nicht anders, als im selben Augenblick hinzuschauen, während sie auch schon davoneilte, und tatsächlich saß Inspektor Hule an einem der hinteren Tische, die sonst meistens frei blieben, und ließ seine Blicke zwischen der Gruppe um Herrn Frischmann und mir hin- und herschweifen. Er war in Zivil, hatte ein großes Bier vor sich und hob das Glas in meine Richtung, als er merkte, dass ich ihn

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