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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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einem neuen Antrag kamen. Ich wusste nicht, ob sie überhaupt noch jemals daran dachte, aber darauf spielte ich an, als ich meine Verwunderung zum Ausdruck brachte.
    »Warum solltest du mich verteidigen?«
    Ich lachte unbehaglich, als sie mich fragte, ob sie besser schweigen solle, wenn ich angegriffen würde, und konnte immer noch nicht glauben, dass sie mich meinte.
    »Du hast dich doch nicht von den Kerlen einschüchtern lassen. Wäre ja noch schöner. Schließlich bist du mit ganz anderen Herrschaften fertig geworden.«
    »Nein, aber du hättest sie reden hören sollen«, sagte sie. »Du kannst es dir nicht vorstellen. Es ist nicht nur um die beiden Bombendrohungen gegangen. Sie haben auch von dem Sommer damals gesprochen und davon, welche Rolle du da gespielt hast.«
    Ich erwartete die alten Geschichten, all das unappetitliche Zeug von einem Mann und zwei Jungen am Fluss, das verklemmte Herumgerede, das lange so tat, als gäbe es keine Worte dafür, und dann mit mathematischer Sicherheit die schmutzigsten fand, aber selbst wenn das vielleicht mitschwang, hatte sich die ganze Aufregung nicht darum gedreht.
    »Wenn es nach den Wortführern geht, hast du mit den beiden Buben da draußen regelrechte Wehrsportübungen getrieben«, sagte sie. »Du hast ihnen angeblich gezeigt, wie man im Wald überlebt. Ihr sollt ganze Tage, ohne etwas zu essen, am Wasser geblieben und im Dickicht herumgekrochen sein. Du hast sie in die eiskalte Flut getrieben, um sie abzuhärten. Ich weiß nicht, was sonst noch alles, aber die Vorwürfe gehen so weit, dass ihr die vorbeifahrenden Züge am anderen Ufer mit Pfeilen beschossen hättet. Außerdem scheint es unter den Raftern, die den Fluss heruntergetrieben sind, die Warnung gegeben zu haben, sich vorzusehen, wenn sie euer Lager passierten, und sich lieber nicht zu nah heranzuwagen.«
    »Das ist doch Irrsinn«, sagte ich. »Wehrsportübungen? Ich nehme an, das ist nicht dein Wort. Wie in aller Welt soll ich den Buben gezeigt haben, wie man im Wald überlebt? Ich habe doch selbst keine Ahnung davon.«
    »Ich weiß«, sagte sie. »Mir brauchst du das nicht zu sagen. Aber du hast mir doch damals von den Spaziergängern erzählt, die an den Fluss hinausgekommen sind, um euch zu betrachten, als wäret ihr Tiere im Zoo. Ich glaube, das stammt alles von ihnen.«
    »Die Spaziergänger, ach, die Spaziergänger.«
    Ich legte meine ganze Verachtung in das Wort und hätte ihr am liebsten noch einmal in allen Einzelheiten geschildert, wie sich an den Sonntagen oft richtige Prozessionen gebildet hatten, um das Wunder zu begutachten, dass ein Mann und zwei Jungen nur mit Badehosen bekleidet am Ufer in der Sonne lagen und lasen, aber sie unterbrach mich.
    »Sie sollen sich bedroht gefühlt haben.«
    Ich wiederholte den Satz Wort für Wort.
    »Wer hat sich bedroht gefühlt?«
    »Na, die Spaziergänger«, sagte sie. »Die beiden Buben sollen sie beschimpft haben und einmal sogar so weit gegangen sein, mitten auf dem Weg eine Barriere zu errichten und keinen mehr durchzulassen.«
    »Wenn jemand Grund gehabt hat, sich bedroht zu fühlen, sind wir es gewesen und nicht diese armseligen Denunzianten«, sagte ich. »Für die war doch allein die Tatsache, dass wir zusammen draußen am Fluss waren und es uns haben gutgehen lassen, ein Skandal.«
    Ich wollte nicht wahrhaben, dass das all die Jahre geschwelt haben sollte und jetzt plötzlich zum Ausbruch kam. Mit Daniel und Christoph hatte ich noch gescherzt, welche Gedanken sich die Leute machen würden, als die beiden Jungen anfingen, die Pfeile über den Fluss hinwegzuschießen, aber natürlich nicht auf die vorbeifahrenden Züge, ganz abgesehen davon, was denen die selbstgeschnitzten, stumpfen Holzpfeile groß hätten anhaben können und dass allein die Idee, damit eine Bedrohung darzustellen, lächerlich war. Sie suchten sich Baumstämme als Ziel oder hatten keines, und es ging nur um den Flug über das Wasser, und ein Teil des Spiels war, am Abend die Pfeile wieder einzusammeln. Dazu mussten sie mit ihrem Moped bis zu der Brücke sechs oder sieben Kilometer flussabwärts und dann am anderen Ufer die Gleise entlang wieder herauf, und das zu tun war schierer Übermut, schiere Energieverschwendung.
    Ähnlich verhielt es sich auch mit dem Vorratslager, das sie eines Tages einzurichten begannen. Sie gruben hinter dem Haus ein riesiges Loch in den Boden, kleideten es notdürftig mit rohen Brettern und dem Rest der Pappe aus, die vom Dach übrig war, und stellten

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