Eine Andere Welt
»Sieh mal; auf seiner Drogenstatuskarte fehlt jede Eintragung für das letzte Jahr.«
Der andere hob die Schultern. »Das ist ein Vergehen, aber es beweist, daß seine Papiere nicht gefälscht sind, denn wer würde einen strafwürdigen Tatbestand fälschen? Der Betreffende müßte schon verrückt sein.«
»Ja«, sagte Jason.
»Nun, Drogenkontrolle fällt nicht in unsere Zuständigkeit«, sagte der dienstältere Polizist. Er gab Jason die Ausweispapiere zurück. »Das werden Sie mit Ihrem Drogeninspektor ausmachen müssen. Sie können weitergehen.« Er schob Jason mit der Linken aus dem Weg, während er mit der Rechten die Papiere des nächsten Mannes entgegennahm.
»Ist das alles?« sagte Jason zu einem der anderen Polizisten. Er konnte es nicht glauben.
»Natürlich! Was wollen Sie noch?«
Jason machte, daß er weiterkam.
Aus dem Schaen eines Hauseingangs löste sich eine schmächtige Gestalt und berührte seinen Arm, als er vorbeigehen wollte. Kathy. Er erstarrte, fühlte sich von innen heraus zu Eis werden. »Wie denken Sie jetzt von mir?« sagte sie. »Wie urteilen Sie jetzt über meine Arbeit und das, was ich für Sie tat?«
»Die Papiere scheinen ihren Zweck zu erfüllen«, sagte er reserviert.
»Ich werde Sie nicht ausliefern«, sagte Kathy, »obwohl Sie mich beleidigten und im Stich ließen. Aber Sie müssen heute nacht bei mir bleiben, wie Sie es versprochen haen. Verstehen Sie?«
Er mußte sie bewundern. Durch ihren Aufenthalt in der Nähe der Kontrollstelle hae sie sich vergewissert, daß ihre gefälschten Dokumente gut genug waren, um ihn durch die Polizeisperre zubringen. Damit hae das Verhältnis zwischen ihnen eine Veränderung erfahren: er war jetzt in ihrer Schuld. Der Status des geschädigten Opfers stand ihm nicht länger zu.
Nun war er ganz in ihrer Hand. Zuerst die Peitsche: die Drohung, ihn der Polizei auszuliefern. Dann das Zuckerbrot: die einwandfrei gefälschten Ausweispapiere. Das Mädchen hae ihn. Er mußte es zugeben, ihr gegenüber und sich selbst.
»Ich häe Sie sowieso durch die Kontrolle gebracht«, sagte Kathy. Sie hielt den rechten Arm hoch und zeigte auf eine Stelle des Ärmels. »Ich habe hier eine graue Identitätsplakee der Polizei; sie leuchtet unter dem Vergrößerungsgerät auf. So werde ich nicht aus Versehen festgenommen. Ich häe den Polizisten gesagt...«
»Lassen Sie«, unterbrach er sie barsch. »Ich will nichts davon hören.« Er ging weiter und ließ sie stehen. Schon nach wenigen Schrien war sie wieder an seiner Seite.
»Wollen wir wieder auf mein Zimmer gehen?« fragte sie.
»Dieses verdammte schäbige Loch.« In Malibu habe ich ein Haus, dachte er, mit acht Schlafzimmern, sechs Bädern und einem vierdimensionalen Wohnzimmer mit einer Unendlichkeitsdecke. Und wegen irgendwelcher Vorgänge, die ich nicht verstehe und auf die ich keinen Einfluß habe, muß ich meine Zeit so verbringen. – Wurde er damit für böse Taten bestra? Etwas, wovon er nichts wußte? Aber es gibt keinen Fluch der bösen Tat, dachte er, genausowenig wie man für gute Taten belohnt wird. Er hae das schon vor langer Zeit gelernt: am Ende kommt alles ungleich heraus, und von höherer Gerechtigkeit kann keine Rede sein.
»Raten Sie mal, was für morgen an der Spitze meiner Einkaufsliste steht«, sagte Kathy. »Tote Fliegen. Wissen Sie warum?«
»Sie sind reich an Protein.«
»Ja, aber das ist nicht der Grund; ich besorge sie nicht für mich selbst. Jede Woche kaufe ich einen Beutel für Bill, meine Schildkröte.«
»Ich habe keine Schildkröte gesehen.«
»Sie ist in meiner anderen Wohnung. Sie glaubten doch nicht im Ernst, ich würde tote Fliegen für mich selbst kaufen, oder?«
»De gustibus non disputandum est«, zitierte er.
»Sehen wir mal. Über Geschmack läßt sich nicht streiten. Stimmt‘s?«
»Richtig«, sagte er. »Und es bedeutet, daß Sie sich nicht genieren und ruhig tote Fliegen essen sollten, wenn sie Ihnen schmecken.«
»Bill tut das; er mag sie. Er ist eine von diesen grün und weiß gestreien kleinen Schildkröten ... keine Landschildkröte. Haben Sie jemals beobachtet, wie sie nach Nahrung schnappen, nach einer Fliege, die über ihnen auf dem Wasser treibt? Es ist ja nur ein kleines Tier, aber es ist furchtbar. Jetzt ist die Fliege noch da, und
– glunk! – einen winzigen Augenblick später ist sie in der Schildkröte.« Sie lachte. »Und wird verdaut. Daraus kann man eine Lektion lernen.«
»Was für eine Lektion?« fragte er, doch dann kam ihm die Erleuchtung. »Daß, wenn
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