Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
hast.«
Don Juan schien sehr beunruhigt. Er drängte mich ungeduldig, ich solle mich erinnern, aber mein Gedächtnis war wie leergefegt.
»Was habe ich deiner Meinung nach falsch gemacht, Don Juan?« fragte ich, nur um die Unterhaltung fortzusetzen. »Alles.«
»Aber ich habe Don Vicentes Anweisungen haargenau befolgt.«
»Was heißt das schon? Verstehst du nicht, daß es sinnlos war, seine Anweisungen zu befolgen?«
»Warum?«
»Weil diese Anweisungen für jemand bestimmt waren, der sehen konnte, nicht für einen Idioten, der nur durch Glück mit dem Leben davongekommen ist. Du hast Don Vicente besucht, ohne darauf vorbereitet zu sein. Er mochte dich und gab dir ein Geschenk. Und dieses Geschenk hätte dich leicht das Leben kosten können.«
»Aber wieso gab er mir etwas so Gefährliches? Als Zauberer hätte er wissen müssen, daß ich nichts weiß.«
»Nein, das konnte er nicht sehen. Du wirkst, als wüßtest du, dabei ist dein Wissen sehr gering.«
Ich sagte ihm, ich sei ehrlich überzeugt, daß ich mich niemals falsch dargestellt hätte, zumindest nicht absichtlich. »Das meine ich auch nicht«, sagte er. »Wenn du dich verstellt hättest, dann hätte Don Vicente dich durchschaut. Es geht um etwas Schlimmeres als Verstellung. Wenn ich dich sehe, dann schaust du für mich aus, als wüßtest du viel, dabei weiß ich wohl, daß dies nicht der Fall ist.«
»Was scheine ich denn zu wissen, Don Juan?«
»Geheimnisse der Macht, natürlich. Das Wissen eines brujos. Darum machte dir Don Vicente ein Geschenk, als er dich sah, aber du gingst damit um wie ein Hund mit seinem Futter, wenn sein Bauch voll ist. Ein Hund pißt auf das Futter, wenn er nicht mehr fressen will, damit andere Hunde nicht davon fressen. So bist du mit dem Geschenk umgegangen. Jetzt werden wir nie wissen, was wirklich passierte. Du hast sehr viel verloren. Welche Verschwendung!« Er schwieg eine Weile; dann zuckte er mit den Schultern und lächelte. »Es ist sinnlos zu klagen«, sagte er, »und doch ist es schwer, es nicht zu tun. Geschenke der Macht erhält man so selten im Leben. Sie sind einzigartig und kostbar. Sieh mich an, zum Beispiel; niemand hat mir je ein solches Geschenk gemacht. Soviel ich weiß, haben nur sehr wenige je so etwas erhalten. Es ist ein Jammer, etwas so Einmaliges zu vergeuden.«
»Ich sehe, was du meinst, Don Juan«, sagte ich. »Kann ich etwas tun, um das Geschenk noch zu retten?« Er lachte und wiederholte einige Male: »Das Geschenk retten. Das klingt gut«, meinte er. »Das gefällt mir. Aber trotzdem läßt sich nichts tun, um dein Geschenk zu retten.«
25. Mai 1968
Heute verbrachte Don Juan fast den ganzen Tag damit, mir zu zeigen, wie man einfache Fallen für Kleintiere aufstellt. Wir hatten beinah den ganzen Vormittag Äste zurechtgeschnitten und geschält. Mir gingen viele Fragen durch den Kopf. Ich hatte versucht, während der Arbeit mit ihm zu sprechen, aber er hatte belustigt erwidert, nur ich sei fähig, meine Hände und meinen Mund gleichzeitig zu bewegen, er könne das nicht.
Schließlich setzten wir uns um auszuruhen, und ich platzte mit einer Frage heraus: »Wie ist es, wenn man sieht, Don Juan?«
»Um das zu wissen, mußt du sehen lernen. Ich kann es dir nicht sagen.«
»Ist es ein Geheimnis, das ich nicht erfahren darf?«
»Nein, das nicht. Nur, ich kann es nicht beschreiben.«
»Warum?«
»Du würdest es nicht verstehen.«
»Stell mich auf die Probe, Don Juan. Vielleicht verstehe ich es doch.«
»Nein, du mußt es selbst tun. Wenn du es gelernt hast, kannst du alles auf der Welt auf eine andere Art sehen.«
»Dann siehst du also die Welt nicht mehr auf die normale Weise, Don Juan?«
»Ich sehe sie auf beide Arten. Wenn ich die Welt anschauen will, dann sehe ich sie so wie du. Wenn ich sie sehen will, dann betrachte ich sie anders und nehme sie anders wahr.«
»Sehen die Dinge jedesmal, wenn du sie siehst, gleich aus?«
»Die Dinge ändern sich nicht. Du veränderst deine Art, sie anzuschauen. Das ist alles.«
»Ich meine, Don Juan, wenn du zum Beispiel denselben Raum siehst, ist es dann jedesmal derselbe?«
»Nein, er verändert sich und bleibt dennoch derselbe.«
»Aber wenn der Baum sich jedesmal, wenn du ihn siehst, verändert, dann ist dein Sehen vielleicht eine bloße Illusion.«
Er lachte, und eine Weile antwortete er nicht, schien aber nachzudenken. Schließlich sagte er: »Immer wenn du die Dinge anschaust, dann siehst du sie nicht. Du schaust sie wahrscheinlich nur an, um
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