Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
Gedanken waren; es waren vollständige Gefühlseinheiten, gleichzusetzen mit emotionellen Gewißheiten, unbestreitbare Beweise für die Art meiner Beziehung mit meiner Mutter. Irgendwann setzte dieser ungewöhnliche Gedankenstrom aus. Ich merkte, daß die Gedanken ihre Leichtflüssigkeit verloren hatten und nicht mehr vollständige Gefühlseinheiten waren. Ich hatte begonnen, an andere Dinge zu denken. Meine Gedanken schweiften ab. Ich dachte an andere Mitglieder meiner näheren Familie, aber diese Gedanken waren nicht von Bildern begleitet. Dann sah ich Don Juan an. Er stand aufrecht. Auch die anderen Männer standen, und dann gingen sie auf das Wasser zu. Ich trat zur Seite und stieß den Jungen an, der noch immer schlief. Kaum daß wir im Auto saßen, berichtete ich Don Juan von meiner verblüffenden Vision. Er lachte hocherfreut und sagte, meine Vision sei ein Zeichen, ein Omen, so wichtig wie meine erste Erfahrung mit Mescalito. Ich erinnerte mich daran, daß Don Juan, als ich das erstemal Peyote nahm, meine Reaktion als ein sehr wichtiges Omen gedeutet hat; sie hat ihn damals zu dem Entschluß veranlaßt, mich sein Wissen zu lehren. Don Juan sagte, daß Mescalito in der letzten Nacht des mitotes so deutlich über mir geschwebt sei, daß alle sich nach mir umschauen müßten und daß auch er mich aus diesem Grund angestarrt habe, als ich zu ihm rüberblickte. Ich hätte gerne seine Interpretation zu meiner Vision gehört, aber er wollte nicht darüber sprechen. Was immer ich erlebt haben mochte, sagte er, sei unbedeutend im Vergleich mit dem Omen. Don Juan sprach weiter darüber, wie Mescalitos Licht über mir geschwebt hatte, und wie jeder es gesehen hatte. »Das war schon etwas«, sagte er. »Ich hätte nicht um ein besseres Omen bitten können.« Don Juan und ich verfolgten offenbar zwei verschiedene Gedankengänge. Ihm kam es auf die Bedeutung der Ereignisse an, die er als Omen deutete, und ich war von den Details meiner Vision besessen.
»Was kümmert mich das Omen«, sagte ich. »Ich möchte wissen, was da mit mir geschehen ist.«
Er runzelte die Stirn, als ärgere er sich über mich, und blieb einen Augenblick sehr steif und schweigsam. Dann sah er mich an. Sein Ton war sehr energisch. Das einzig wichtige, sagte er, sei, daß Mescalito sehr freundlich zu mir gewesen war, daß er mich in sein Licht gehüllt und mir eine Lehre erteilt hatte, ohne daß ich irgend etwas geleistet hatte, als einfach dazusein.
4.
Am 4. September 1968 fuhr ich nach Sonora, um Don Juan zu besuchen. Ich wollte ihm eine Bitte erfüllen, die er bei einem meiner früheren Besuche geäußert hatte, und hielt unterwegs in Hermosillo an, um einen nicht im Handel erhältlichen Tequila, einen bacanora, für ihn zu kaufen. Dabei erschien mir seine Bitte ziemlich seltsam, da ich wußte, daß er das Trinken ablehnte, aber ich kaufte vier Flaschen und tat sie in eine Kiste, zu den anderen Dingen, die ich ihm mitbringen wollte. »Was, du bringst gleich vier Flaschen!« sagte er lachend, als er die Kiste öffnete. »Ich habe dich nur um eine gebeten. Ich glaube, du hast gedacht, der bacanora sei für mich, aber er ist für meinen Enkel Lucio. Du mußt es ihm überreichen, als sei es ein persönliches Geschenk von dir.«
Ich war Don Juans Enkel vor zwei Jahren begegnet; damals war er 28 Jahre alt gewesen. Er war sehr groß, über Einmeter-achtzig, und für seine Mittel und im Vergleich zu seinen Kameraden stets ungewöhnlich gut gekleidet. Während die meisten Yaquis Khakihemden und Levis, Strohhüte und handgemachte Sandalen, sogenannte guaraches, tragen, bestand Lucios Aufzug aus einer teuren schwarzen Lederjacke, bestickt mit Türkisperlen, einem texanischen Cowboyhut und einem Paar mit Monogramm und handgearbeiteten Verzierungen versehenen Stiefeln. Lucio war begeistert über den Schnaps und brachte die Flaschen sofort ins Haus, offenbar um sie fortzuschließen. Don Juan bemerkte beiläufig, man solle Alkohol nie horten und allein trinken. Lucio sagte, er habe nicht vor, ihn zu horten, er wolle ihn lediglich bis zum Abend aufheben und dann seine Freunde zum Trinken einladen. Am gleichen Abend kehrte ich gegen sieben Uhr zu Lucios Haus zurück. Es war dunkel. Undeutlich machte ich die Umrisse zweier Menschen aus, die unter einem kleinen Baum standen. Es waren Lucio und einer seiner Freunde, die mich erwarteten und mich mit einer Taschenlampe zum Haus geleiteten. Lucios Haus war ein dürftiges Gebäude, zwei Räume, mit Lehmfußboden,
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