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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Offenbar sangen sie gerade wie sie Lust hatten. Dann hob Mocho den Korb in die Höhe, nahm zwei Buttons heraus und stellte ihn in die Mitte des Kreises zurück. Don Silvio war als nächster an der Reihe, anschließend Don Juan. Die vier jungen Männer, die eine Gruppe für sich zu bilden schienen, nahmen jeder zwei Buttons, und zwar der Reihe nach im Gegensinn des Uhrzeigers. Jeder der sieben Teilnehmer sang und aß jeweils viermal zwei Peyote-Buttons, dann wurden die anderen zwei Körbe herumgereicht, sie enthielten getrocknete Früchte und Trockenfleisch. Diesen Zyklus wiederholten sie im Verlauf der Nacht mehrere Male, aber ich konnte nicht erkennen, ob ihre einzelnen Bewegungen nach einem bestimmten Muster erfolgten. Sie sprachen nicht miteinander. Eher schienen sie voneinander losgelöst und ganz mit sich selbst beschäftigt zu sein. Ich sah keinen, der auch nur ein einziges Mal darauf geachtet hätte, was die anderen Männer taten.
    Vor Tagesanbruch standen sie auf, und der Junge und ich reichten ihnen Wasser. Danach ging ich umher, um mich ein wenig umzuschauen. Das Haus war eine einräumige Hütte, ein niedriger strohdachgedeckter Lehmziegelbau. Die ganze Szenerie war recht bedrückend. Die Hütte stand inmitten einer rauhen Ebene mit gemischter Vegetation. Sträucher und Kakteen wuchsen nebeneinander, aber keinerlei Bäume. Mir war nicht danach zumute, mich vom Haus fortzuwagen. Die Frauen brachen im Laufe des Vormittags auf. Die Männer gingen schweigend in der näheren Umgebung der Hütte umher. Gegen Mittag setzten wir uns alle wieder in der gleichen Anordnung nieder, wie wir es am Abend davor getan hatten. Ein Korb mit getrocknetem Fleisch, zerschnitten in Stücke von der Größe eines Peyote-Buttons, wurde herumgereicht. Einige Männer sangen ihre Peyote-Lieder. Nach ungefähr einer Stunde erhoben sie sich wieder und gingen in verschiedene Richtungen davon. Die Frauen hatten einen Topf Haferbrei für die Bewacher des Feuers und Wassers zurückgelassen. Davon aß ich etwas und schlief dann fast den ganzen Nachmittag.
    Nach Einbruch der Dämmerung schichtete der junge Mann, der für das Feuer verantwortlich war, einen neuen Holzstoß auf, und abermals begannen sie nach dem gleichen Zeremoniell Peyote-Buttons zu sich zu nehmen. Dabei wurde dieselbe Reihenfolge eingehalten wie in der letzten Nacht. Bei Tagesanbruch löste sich die Runde wieder auf.
    Die ganze Nacht über bemühte ich mich, jede einzelne Bewegung der sieben Teilnehmer genau zu beobachten und festzuhalten, in der Hoffnung, wenigstens andeutungsweise Anzeichen für ein erkennbares verbales oder nichtverbales Kommunikationssystem zu entdecken. In ihrem Verhalten gab es jedoch nichts, was darauf hätte schließen lassen, daß dem ein System zugrunde lag. Am frühen Abend des folgenden Tages traf sich die Runde von neuem. Gegen Morgen wußte ich endgültig, daß mein Versuch fehlgeschlagen war, Andeutungen oder Hinweise aufzufangen, die einen geheimen Führer enthüllt hätten, oder irgendeine Art geheimer Kommunikation untereinander beziehungsweise Hinweise auf ihr System der Verständigung zu entdecken. Für den Rest des Tages setzte ich mich von den anderen ab und bemühte mich, meine Aufzeichnungen zu ordnen. Als die Männer sich in der vierten Nacht wieder versammelten, wußte ich irgendwie, daß dies die letzte Zusammenkunft sein würde. Niemand hatte es mir gesagt oder angedeutet, und doch wußte ich, daß sie am nächsten Tag auseinandergehen würden.
    Wieder saß ich neben dem Wasser, und wieder nahmen die anderen ihre Plätze in der festgelegten Reihenfolge ein.
    Das Verhalten der sieben Männer in diesem Kreis war eine Wiederholung dessen, was ich in den drei vorangehenden Nächten beobachtet hatte. Wie schon zuvor, war ich ganz von ihren Bewegungen gefangen. Ich wollte alles, was sie taten, festhalten, jede Bewegung, jede Äußerung, jede Gebärde. Irgendwann hörte ich ein Pfeifen in meinem Ohr; es war wie ein normales Ohrensausen, und ich achtete nicht weiter darauf. Das Pfeifen wurde lauter, ging aber noch nicht über die Grenze meiner normalen körperlichen Empfindungen hinaus. Ich erinnere mich, daß ich meine Aufmerksamkeit zwischen der Beobachtung der Männer und dem Summen in meinen Ohren teilte. Urplötzlich schienen sich die Gesichter der Männer zu erhellen. Es war, als sei ein Licht eingeschaltet worden. Aber man hätte es nicht mit einem elektrischen Licht, einer Laterne oder dem Widerschein des Feuers auf ihren

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