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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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bestehend aus mit Lehm beworfenem Flechtwerk. Es war etwa dreieinhalb Meter lang und ruhte auf dünnen Balken aus dem Holz des Süßhülsenbaums. Wie alle Häuser der Yaquis hatte es ein flaches Strohdach und eine drei Meter breite ramada, eine Art Sonnendach, das sich über die ganze Vorderseite des Hauses erstreckt. Eine ramada ist nie mit Stroh gedeckt. Sie besteht aus locker zusammengefügten Zweigen, die genügend Schatten geben und doch der kühlenden Brise freien Zutritt lassen.
    Als ich ins Haus trat, schaltete ich mein Tonband ein, das ich in der Aktentasche trug. Lucio stellte mich seinen Freunden vor. Im Haus befanden sich elf Männer, einschließlich Don Juan. Sie saßen zwanglos in der Mitte des Zimmers im hellen Licht einer Petroleumlampe, die von einem Balken herabhing. Don Juan saß auf einer Kiste. Ich saß ihm gegenüber am Ende einer zwei Meter langen Bank, die aus einem dicken Holzbalken bestand, welcher auf zwei in den Boden eingelassene Gabelpflöcke aufgenagelt war.
    Don Juan hatte seinen Hut neben sich auf den Boden gelegt. Das Licht der Petroleumlampe ließ sein kurzes weißes Haar noch weißer leuchten. Ich sah ihm ins Gesicht; das Licht betonte auch die tiefen Falten auf seinem Hals und seiner Stirn und ließ ihn noch dunkler und älter erscheinen. Ich schaute mir die anderen Männer an. Im grünlich-weißen Licht der Petroleumlampe sahen sie alle müde und alt aus. Lucio wandte sich auf spanisch an die ganze Gruppe und sagte mit lauter Stimme, daß wir eine Hasche bacanora zusammen leeren wollten, die ich ihm aus Hermosillo mitgebracht hatte. Er ging ins andere Zimmer, holte die Flasche, öffnete sie und reichte sie mir, zusammen mit einem kleinen Zinnbecher. Ich schenkte mir einen kleinen Schluck ein und trank. Der bacanora schien mir aromatischer und kräftiger als der übliche Tequila zu sein, auch stärker. Ich mußte husten. Ich reichte die Flasche weiter, und jeder goß sich einen kleinen Schluck ein, jeder außer Don Juan. Der nahm die Flasche nur und stellte sie vor Lucio, der am Ende der Reihe saß. Alle machten lebhafte Kommentare über das reiche Aroma dieser Flasche, und alle stimmten darin überein, daß der Schnaps aus dem Berghochland von Chihuahua stammen mußte.
    Die Flasche kreiste noch einmal. Die Männer leckten sich die Lippen, wiederholten ihre Lobpreisungen und begannen eine lebhafte Diskussion über die starken Unterschiede zwischen dem Tequila, der in der Gegend von Guadalajara hergestellt wurde, und dem, der von den Höhen Chihuahuas stammte. Bei der zweiten Runde trank Don Juan wieder nicht mit, ich selbst schenkte mir nur einen kleinen Tropfen ein, aber die anderen füllten sich den Becher bis zum Rand. Die Flasche ging noch einmal im Kreise und war leer. »Hol die anderen Flaschen, Lucio«, sagte Don Juan. Lucio schien unschlüssig zu sein, und Don Juan erklärte den anderen ganz beiläufig, daß ich vier Flaschen für Lucio mitgebracht hatte.
    Benigno, ein junger Mann in Lucios Alter, schaute meine Aktentasche an, die ich unauffällig hinter mich gestellt hatte, und fragte mich, ob ich ein Tequila-Vertreter sei. Don Juan antwortete, daß ich keiner sei und daß ich nach Sonora gekommen wäre, um ihn zu besuchen. »Carlos will etwas über Mescalito lernen, und ich unterweise ihn«, sagte Don Juan.
    Alle schauten mich an und lächelten höflich. Bajea, der Holzschnitzer, ein kleiner, magerer Mann mit scharfen Zügen, fixierte mich einen Augenblick und sagte dann, der Ladeninhaber habe mich beschuldigt, ein Spion für eine amerikanische Firma zu sein, die Bohrungen im Yaqui-Land plante. Alle reagierten, als seien sie über eine solche Beschuldigung entrüstet. Außerdem haßten sie den Ladeninhaber, der ein Mexikaner war, oder Yori, wie die Yaquis sagen.
    Lucio ging ins andere Zimmer und kehrte mit einer neuen Flasche bacanora zurück. Er öffnete sie, goß sich reichlich ein und gab sie weiter. Das Gespräch drehte sich um die Frage, ob die amerikanische Firma tatsächlich nach Sonora kommt, und welche Folgen das möglicherweise für die Yaquis haben konnte. Die Flasche kehrte zu Lucio zurück. Er hob sie hoch und spähte hinein, um zu sehen, wieviel übriggeblieben war. »Sag ihm, er braucht sich keine Sorgen zu machen«, flüsterte Don Juan mir zu. »Sag ihm, daß du ihm nächstes mal, wenn du kommst, mehr mitbringen wirst.«
    Ich beugte mich zu Lucio rüber und versicherte ihm, daß ich bei meinem nächsten Besuch mindestens ein halbes Dutzend Flaschen für

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