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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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meine Gegenwart zur Zufriedenheit aller erklärt, ich sei eingeladen und solle beim mitote für das Wasser sorgen. Er sagte, wir würden sofort aufbrechen. Eine Gruppe von zehn Frauen und elf Männern verließ das Haus. Der Mann, der die Gesellschaft anführte, war recht hager. Er war etwa Mitte Fünfzig. Sie nannten ihn Mocho, ein Spitzname, der soviel wie »geschoren« bedeutet. Er ging mit schnellen, festen Schritten. Er trug eine Kerosinlampe und schwenkte sie beim Gehen hin und her. Anfangs dachte ich, er bewegte sie unabsichtlich, aber dann entdeckte ich, daß er mit der Laterne Zeichen gab, um auf Hindernisse oder schwierige Wegstellen aufmerksam zu machen. Wir gingen über eine Stunde lang. Die Frauen schwatzten miteinander, und man hörte sie hin und wieder leise lachen. Don Juan und der andere alte Mann gingen an der Spitze des Zuges, ich ging ganz am Ende. Ich hielt meinen Blick auf den Weg gerichtet, um sehen zu können, wo ich hintrat.
    Es war vier Jahre her, seit Don Juan und ich nachts in den Bergen gewesen waren, und meine körperliche Gewandtheit hatte merklich nachgelassen. Immer wieder stolperte ich und stieß kleine Steine vor mir her. Meine Knie hatten keinerlei  Elastizität. Trat ich auf eine erhöhte Stelle, dann schien der Weg mir entgegenzukommen, und wenn ich auf eine Bodensenkung trat, wich er unter mir fort. Ich machte beim Gehen den meisten Lärm und wurde deswegen von den anderen aufgezogen. Jedesmal, wenn ich stolperte, rief einer aus der Gruppe: »Uhhh!«, und alle lachten. Einmal traf ich mit einem der Steine, die ich vor mir herstieß, die Ferse einer Frau, daraufhin rief sie zur allgemeinen Belustigung: »Gebt dem armen Kerl doch eine Kerze!« Doch am peinlichsten wurde es, als ich stolperte und mich an meinem Vordermann festhalten mußte; unter meinem Gewicht verlor er beinah die Balance und stieß absichtlich einen übertrieben lauten Schrei aus. Alle lachten dermaßen, daß die ganze Gruppe einen Moment stehenbleiben mußte. Irgendwann schwenkte der Führer der Gruppe seine Laterne auf und ab. Dies war offenbar das Zeichen, daß wir am Ziel angelangt waren. Zu meiner Rechten sah ich in einiger Entfernung die dunkle Silhouette eines flachen Hauses. Die Mitglieder der Gruppe verstreuten sich in verschiedenen Richtungen. Ich suchte nach Don Juan. Es war schwierig, ihn in der Dunkelheit zu finden. Ich stolperte einige Zeit geräuschvoll umher, bis ich ihn auf einem Stein sitzen sah. Er sagte noch einmal, daß ich die Aufgabe hatte, den Teilnehmern Wasser zu bringen. Vor Jahren hatte er mich in diese Prozedur eingewiesen. Ich erinnerte mich an jede Einzelheit, aber er bestand darauf, mein Gedächtnis aufzufrischen und zeigte mir, was ich genau tun sollte. Anschließend gingen wir zum Haus zurück, wo sich inzwischen alle Männer versammelt hatten. Sie hatten eine Feuerstelle gebaut. Etwa fünf Meter vom Feuer entfernt, war eine geebnete Stelle mit Strohmatten belegt. Mocho, der Mann, der uns geführt hatte, setzte sich als erster auf die Matte; ich bemerkte, daß der obere Rand seiner Ohrmuschel fehlte, daher also sein Spitzname. Don Silvio setzte sich zu seiner Rechten nieder und Don Juan zu seiner Linken. Mocho saß mit dem Gesicht zum Feuer. Ein junger Mann trat auf ihn zu und stellte einen flachen Korb mit Peyote-Buttons vor ihn auf den Boden. Dann setzte er sich zwischen Mocho und Don Silvio. Ein anderer junger Mann brachte zwei kleine Körbe, stellte sie neben die Peyote-Buttons und setzte sich daraufhin zwischen Mocho und Don Juan. Zwei weitere junge Männer setzten sich schließlich neben Don Silvio und Don Juan, wodurch ein Kreis von sieben Personen gebildet wurde. Die Frauen blieben im Haus. Zwei junge Männer hatten die Aufgabe, das Feuer die ganze Nacht in Gang zu halten, und ich war zusammen mit einem Jungen für das Wasser verantwortlich, das den sieben Teilnehmern nach ihrem, die ganze Nacht über dauernden Ritual, gereicht werden sollte. Der Junge und ich saßen neben einem Felsbrocken. Das Feuer und der Wasserbehälter waren so angeordnet, daß sie sich in entgegengesetzer Richtung, etwa gleich weit von der Runde der Teilnehmer entfernt, befanden. Mocho, der Anführer, sang sein Peyote-Lied; seine Augen waren geschlossen; sein Körper bewegte sich auf und ab. Es war ein sehr langes Lied. Ich verstand die Sprache nicht.
    Anschließend sangen alle, einer nach dem andern, ihre Peyote-Lieder. Anscheinend hielten sie sich nicht an eine vorher festgelegte Reihenfolge.

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