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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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seltsam starre Haltung ein. Einige Zeit wimmerte und stöhnte er noch vor sich hin, dann begann er zu schnarchen. Don Juan deckte ihn mit ein paar Säcken zu. Es war fünf Uhr morgens. Lucio und Benigno waren Schulter an Schulter, mit dem Rücken zur Wand, eingeschlafen. Don Juan und ich saßen lange schweigend beieinander. Er schien müde zu sein. Ich brach das Schweigen und fragte ihn, was mit Eligio geschehen sei. Er sagte, Eligios Begegnung mit Mescalito sei ungewöhnlich erfolgreich gewesen; Mescalito hatte ihn gleich beim erstenmal ein Lied gelehrt, und das sei wirklich sehr ungewöhnlich.
    Ich fragte ihn, warum er auf Lucios Vorschlag, für ein Motorrad Peyote zu kauen, nicht eingegangen war. Er sagte, Mescalito hätte Lucio getötet, wenn er sich ihm unter solchen Voraussetzungen genähert hätte. Don Juan gab zu, daß er alles sorgfältig vorbereitet hatte, um seinen Enkel zu überzeugen, er sagte, er habe auf meine Freundschaft mit Lucio als einem wesentlichen Teil seiner Strategie gebaut. Er erzählte, daß Lucio ihm immer schon Sorgen gemacht habe und daß sie früher zusammengelebt und einander sehr nahegestanden hätten, aber Lucio sei als Siebenjähriger schwer erkrankt, und Don Juans Sohn, ein gläubiger Katholik, hatte bei der Heiligen Jungfrau von Guadalupe ein Gelübde abgelegt, daß Lucio einer religiösen Tanzgruppe beitreten würde, wenn er am Leben bliebe. Lucio wurde wieder gesund, und man zwang ihn, das Versprechen einzulösen. Er hielt es eine Woche als Tanzschüler aus und beschloß dann, das Gelübde zu brechen. Er dachte, er werde als Folge dessen sterben müssen, fand sich damit ab und wartete einen ganzen Tag auf den Tod. Alle haben den Jungen damals ausgelacht, und der Vorfall ist nie in Vergessenheit geraten.
    Don Juan schwieg lange. Er schien in Gedanken versunken. »Ich hatte alles für Lucio vorbereitet, und statt dessen fand ich Eligio«, sagte er. »Ich wußte, daß es umsonst war, aber wenn wir jemand lieben, dann sollten wir nie aufgeben, uns so zu verhalten, als sei es möglich, Menschen neu zu erschaffen, Lucio hatte als kleiner Junge Mut, und später hat er ihn auf seinem Weg verloren.«
»Kannst du ihn nicht behexen, Don Juan?«
»Ihn behexen? Wozu?«
    »Damit er sich ändert und seinen Mut wiedergewinnt.«
»Man kann nicht jemandem Mut anhexen. Mut ist etwas Persönliches. Man kann Menschen nur so behexen, daß sie schwach oder krank oder blöd werden. Man kann nicht jemanden behexen, um einen Krieger aus ihm zu machen. Um ein Krieger zu sein, muß man klar wie Kristall sein. Wie Eligio. Das ist ein mutiger Mann!«
    Eligio schnarchte friedlich unter den Leinensäcken. Der Tag war schon hell. Der Himmel war strahlend blau. Keine Wolke war zu sehen.
    »Ich würde viel darum geben, etwas über Eligios Reise zu erfahren. Hast du was dagegen, wenn ich ihn frage?«
»Auf keinen Fall darfst du ihn danach fragen.«
»Warum denn nicht? Ich erzähle dir doch auch all meine Erlebnisse.«
»Das ist etwas anderes. Du bist nicht so veranlagt, daß du die Dinge für dich behältst. Eligio ist ein Indianer. Seine Reise ist das einzige, was er hat. Ich wollte, es wäre Lucio gewesen.«
»Kannst du denn gar nichts machen, Don Juan?«
    »Nein. Leider gibt es keine Möglichkeit, einer Qualle Knochen zu geben. Es war nur meine Torheit.«
    Die Sonne ging auf. Ihre Strahlen blendeten mich.
    »Du hast mir so oft gesagt, Don Juan, daß ein Zauberer keine Torheiten begeht. Ich hätte nie geglaubt, daß auch du welche begehen kannst.«
    Don Juan schaute mich durchdringend an. Er warf einen Blick auf Eligio und dann auf Lucio. Er setzte den Hut auf und drückte ihn in die Stirn.
    »Es ist möglich zu beharren, stur zu beharren, auch wenn wir wissen, daß es sinnlos ist, was wir tun«, sagte er lächelnd.
    »Allerdings müssen wir dabei im voraus wissen, daß unser Tun sinnlos ist, und dennoch so handeln, als wüßten wir es nicht. Das ist die kontrollierte Torheit eines Zauberers.«

5.
    Am 3 Oktober 1968 kehrte ich zu Don Juan zurück, einzig um ihn nach den Vorgängen zu befragen, die sich bei Eligios Unterweisung ereignet hatten. Zahllose Fragen hatten mich bestürmt, während ich meine Notizen über die damaligen Ereignisse nochmals durchlas. Ich brauchte präzise Erklärungen, daher stellte ich eine Liste von Fragen zusammen, wobei ich mir mit den Formulierungen besondere Mühe gab. Ich begann mit der Frage: »Habe ich in dieser Nacht gesehen, Don Juan?«
»Beinah.«
    »Hast du gesehen, daß ich

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