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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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waren nur noch ein schwaches Gemurmel. Benigno, der rechts von mir saß, blickte gleichgültig drein; Lucio, neben ihm, war auf die Seite gekippt und schnarchte. Eligios Körper bog sich in eine verzerrte Haltung. Er lag auf der rechten Seite, das Gesicht zu mir gekehrt, und hatte die Hände zwischen die Beine gelegt. Sein Körper bäumte sich auf, und er drehte sich, mit leicht angewinkelten Beinen, auf den Rücken. Mit einer äußerst eleganten und freien Bewegung streckte er die linke Hand seitlich nach oben. Mit der rechten wiederholte er die gleiche Gebärde, und dann machte er mit beiden Händen abwechselnd langsame wellenförmige Bewegungen, ähnlich einem Harfenspieler. Allmählich wurden die Bewegungen heftiger. Seine Arme zitterten merklich und fuhren wie Kolben auf und ab. Gleichzeitig ließ er die Hände im Handgelenk kreisen und die Finger beben. Es war ein schöner, harmonischer, faszinierender Anblick. Noch nie hatte ich einen solchen Rhythmus und eine solche Muskelbeherrschung gesehen.
    Dann erhob sich Eligio langsam, als stemme er sich gegen eine ihn niederdrückende Kraft. Sein Körper bebte. Er ging in die Hocke und stand dann mit einem Ruck auf. Seine Arme, sein Rumpf und sein Kopf zitterten, als würden sie von elektrischen Stromstößen erschüttert. Es war, als wäre er von einer unkontrollierbaren Macht besessen und getrieben. Don Juans Gesang wurde sehr laut. Lucio und Benigno wachten auf, sahen dem Schauspiel einige Zeit desinteressiert zu und schliefen wieder ein.
    Eligio reckte sich immer höher. Offenbar kletterte er. Er bog die Hände ein und schien nach irgendwelchen, für mich unsichtbaren Dingen zu greifen. Er zog sich hoch und machte eine Atempause.
    Ich wollte seine Augen sehen und rückte näher an ihn heran, aber Don Juan warf mir einen wütenden Blick zu, und ich kehrte an meinen Platz zurück. Dann sprang Eligio. Es war ein letzter gewaltiger Satz. Anscheinend hatte er sein Ziel erreicht. Er schnaufte und schluckte vor Anstrengung. Er schien sich an einem Sims festzuhalten. Aber irgend etwas war stärker als er. Er schrie verzweifelt auf. Sein Griff lockerte sich und er schien zu stürzen. Sein Körper bog sich nach hinten durch, und er wurde von anmutigen, wohlkoordinierten Wellenbewegungen von Kopf bis Fuß erschüttert. Vielleicht hundertmal liefen diese Wellen an ihm herab, bis sein Körper wie ein leerer Sack zusammenbrach.
    Nach einiger Zeit streckte er die Arme vor, als wolle er sein Gesicht schützen. Er lag auf dem Bauch und streckte die Beine nach hinten. Sie schwebten etwa fünfzehn  Zentimeter über dem Boden, dadurch hatte es den Anschein, als glitte er mit unglaublicher Geschwindigkeit dahin. Sein Kopf war weit nach hinten gebogen, seine Arme waren über den Augen verschränkt und schirmten sie ab. Ich spürte förmlich, wie der Wind ihn umzischte. Ich keuchte und stieß ungewollt einen lauten Schrei aus. Lucio und Benigno erwachten und sahen Eligio neugierig an. »Wenn du versprichst, mir ein Motorrad zu kaufen, dann probiere ich es auf der Stelle«, sagte Lucio laut. Ich schaute Don Juan an. Er machte eine gebieterische Kopfbewegung.
    »Hurensohn!« murmelte Lucio und schlief wieder ein. Eligio stand auf und ging hin und her. Er machte ein paar Schritte auf mich zu und blieb stehen. Ich sah ihn mit verklärtem Gesicht lächeln. Er versuchte zu pfeifen. Es war ein undeutliches Geräusch, aber es klang harmonisch. Es war eine Melodie, ein paar Takte, die sich ständig wiederholten. Nach einer Weile war das Pfeifen deutlich zu hören, und dann wurde es eine klare Melodie. Eligio murmelte unverständliche Worte. Die Worte waren offenbar der Text seines Liedes. Er wiederholte es vier Stunden lang. Es war ein einfaches Lied, monoton, sich immer wiederholend und dennoch seltsam schön. Während er sang, schien Eligio irgend etwas zu sehen. Einen Augenblick kam er ganz nah an mich heran. Im Halbdunkel sah ich seine Augen. Sie waren glasig und blickten starr grade aus. Er lächelte und kicherte vor sich hin. Er ging umher, setzte sich hin und ging wieder umher, ächzend und seufzend.
    Plötzlich schien es, als hätte ihn jemand von hinten gestoßen. Sein Körper bog sich durch, als würde er von einer Kraft geschoben. Einen Moment balancierte Eligio auf den Zehenspitzen und bog sich in einer vollkommenen Kreisform rückwärts, wobei seine Hände den Boden berührten. Wieder stürzte er zu Boden und fiel weich auf den Rücken, dann streckte er sich aus und nahm eine

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