Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
Eligios Bewegungen sah!«
»Ja. Ich sah, daß Mescalito dir erlaubte, einen Teil von Eligios Lektion zu sehen, sonst hättest du einfach einen Mann dasitzen oder vielleicht liegen sehen. Beim letzten mitote hast du nicht feststellen können, daß die Männer etwas taten, nicht wahr?« Beim letzten mitote hatte ich keinen der Männer irgendwelche ungewöhnlichen Bewegungen machen sehen. Ich sagte, ich sei sicher, daß ich mir nur notiert hatte, daß einige der Männer öfter als andere aufstanden und in die Büsche gingen. »Aber du hast beinah Eligios ganze Lektion gesehen«, fuhr Don Juan fort. »Denk darüber nach. Begreifst du jetzt, wie Mescalito dich bevorzugt? Soviel ich weiß, war Mescalito noch nie zu jemandem so freundlich. Zu niemandem. Und trotzdem mißachtest du seine Großzügigkeit. Wie kannst du ihm so unverschämt den Rücken weisen? Oder vielleicht sollte ich besser sagen: Was gibt dir einen Grund, Mescalito den Rücken zu weisen?«
    Ich glaubte, daß Don Juan mich wieder in die Enge treiben wollte. Ich konnte diese  Frage nicht beantworten. Ich war immer der Meinung gewesen, ich hätte die Lehrzeit beendet, um mich zu retten, aber ich wußte beim besten Willen nicht, wovor ich mich retten wollte, oder zu welchem Zweck. Ich wollte schnell das Thema wechseln und gab daher meine Absicht auf, meine ganzen vorformulierten Fragen der Reihe nach vorzutragen und kam gleich auf den wichtigsten Punkt zu sprechen.
    »Ich wüßte gern, ob du mir etwas mehr über deine kontrollierte Torheit erzählen  willst«, sagte ich. »Was möchtest du wissen?«
    »Bitte, Don Juan, sag mir, was genau ist kontrollierte Torheit?«
    Don Juan lachte laut auf und schlug sich mit der hohlen Hand geräuschvoll auf den  Schenkel.
    »Das hier ist kontrollierte Torheit«, lachte er und schlug sich noch einmal auf den Schenkel. »Was willst du damit sagen...?«
    »Ich freue mich, daß du mich nach so vielen Jahren endlich nach meiner kontrollierten Torheit fragst, und trotzdem wäre es mir letzten Endes egal gewesen, wenn du mich nie danach gefragt hättest. Und doch habe ich beschlossen, mich darüber zu freuen, als würde mir daran liegen, daß du mich fragst, als würde es eine Rolle spielen, daß mir daran liegt. Das ist kontrollierte Torheit!« Wir lachten herzhaft. Ich umarmte ihn. Ich fand seine Erklärung hinreißend, obwohl ich sie nicht ganz verstand.
    Wie immer saßen wir auf dem Platz vor seiner Haustür. Es war später Vormittag. Don Juan hatte einen Haufen Samen vor sich aufgeschüttet und sortierte die Spreu aus. Ich hatte ihm meine Hilfe angeboten, aber er hatte sie abgelehnt. Er sagte, die Samen seien ein Geschenk für einen Freund in Zentralmexiko, und meinte, ich hätte nicht genug Kraft, sie zu berühren. »Bei wem übst du die kontrollierte Torheit aus, Don Juan?« fragte ich nach langem Schweigen. Er lachte in sich hinein. »Bei jedem«, sagte er lächelnd.
    »Und wann übst du sie aus?«
»Immer wenn ich handle.«
    Ich glaubte, das Gesagte noch einmal zusammenfassen zu müssen und fragte ihn, ob er sagen wollte, daß seine Handlungen niemals aufrichtig, sondern nur die Handlungen eines Schauspielers seien.
    »Meine Handlungen sind aufrichtig«, sagte er, »aber sie sind nur die Handlungen eines Schauspielers.«
»Dann muß alles, was du tust, kontrollierte Torheit sein«, sagte ich, ehrlich überrascht. »Ja, alles«, sagte er.
    »Aber es kann doch nicht wahr sein«, wandte ich ein, »daß alle deine Handlungen nur kontrollierte Torheit sind.«
»Warum nicht?« sagte er und sah mich geheimnisvoll an. »Das würde heißen, daß im Grunde nichts an dich herankommt und daß dir an keiner Sache und keiner Person wirklich liegt. Nimm mich, zum Beispiel. Willst du sagen, daß es dir egal ist, ob ich ein Wissender werde oder nicht, oder ob ich lebe oder sterbe oder sonst was tu?«
    »Richtig! So ist es. Du bist wie Lucio oder wie jeder andere in meinem Leben, meiner kontrollierten Torheit.«
    Ich hatte ein eigenartig leeres Gefühl. Selbstverständlich gab es keinen Grund, warum Don Juan etwas an mir liegen sollte, aber andererseits war ich so gut wie sicher, daß er persönlich Anteil an mir nahm. Ich konnte es mir nicht anders vorstellen, da er mir immer seine ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Ich hatte den Verdacht, daß Don Juan dies vielleicht nur sagte, weil er sich über mich ärgerte. Immerhin hatte ich seine «Lehren abgebrochen.
    »Ich glaube, daß wir nicht über dasselbe sprechen«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher