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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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nicht, was jetzt dabei herauskommen wird. Du bist der Kraft des Wasserloch-Geistes unterlegen, und jetzt kann er dich jederzeit holen.«
»War es ein Fehler, zuzuschauen wie ich grün wurde?«
»Du gabst dich auf. Du hattest den Willen, dich aufzugeben. Das war falsch. Ich habe es dir schon oft gesagt, und ich werde es dir noch einmal wiederholen: In der Welt eines brujo kannst du nur überleben, wenn du ein Krieger bist. Ein Krieger behandelt alles mit Respekt und tritt nicht auf den Dingen herum, wenn es nicht sein muß. Gestern hast du das Wasser nicht mit Respekt behandelt. Für gewöhnlich verhältst du dich richtig. Gestern aber hast du dich wie ein verdammter Idiot dem Tod ausgeliefert. Ein Krieger liefert sich keiner Kraft aus, nicht einmal seinem Tod. Ein Krieger ist kein williger Partner. Ein Krieger steht niemandem zu Gebot, und wenn er sich für etwas einsetzt, so kannst du sicher sein, daß er weiß, was er tut.« Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Don Juan war beinah wütend. Das beunruhigte mich. So hatte sich Don Juan mir gegenüber noch nie verhalten. Ich sagte ihm, ich sei mir wirklich nicht bewußt gewesen, etwas falsch zu machen. Nach ein paar Minuten gespannten Schweigens nahm er seinen Hut ab, lächelte und sagte mir, daß ich eine Zeit fortbleiben solle, bis ich glaubte, mein zum Sichgehenlassen neigendes Selbst beherrschen zu können. Er betonte, daß ich drei oder vier Monate lang das Wasser  meiden und es nicht mit meinem Körper in Berührung bringen solle. »Ich glaube nicht, daß ich es ohne eine Dusche aushalten werde«, sagte ich. Don Juan lachte, bis ihm die Tränen über die Wangen rollten. »Du kannst es nicht ohne Dusche aushalten! Manchmal bist du so schwach, daß ich glaube, du machst mir was vor. Aber das ist kein Spaß. Manchmal verlierst du wirklich jegliche Selbstbeherrschung und bist eine leichte Beute für die Mächte deines Lebens.« Ich wandte ein, daß es für den Menschen unmöglich sei, sich ständig zu beherrschen. Er behauptete, daß es für einen Krieger nichts gebe, was er nicht beherrschte. Ich kam auf Unfälle zu sprechen und meinte, daß man das, was mir am Wassergraben geschehen war, gewiß als einen Unfall bezeichnen könne, da ich es weder absichtlich getan hatte, noch war ich mir meines unkorrekten Verhaltens bewußt gewesen. Ich sprach über eine Reihe von Leuten, denen ein Unglück zugestoßen war, das man als Unfall erklären konnte. Ich sprach vor allem über Lucas, einen sehr netten alten Yaqui-Indianer, der eine schwere Verletzung erlitten hatte, als der Lastwagen, den er steuerte, sich überschlug.
    »Ich glaube, Unfälle lassen sich nicht vermeiden«, sagte ich. »Kein Mensch kann alles um sich her unter Kontrolle haben.«
    »Richtig«, sagte Don Juan scharf. »Aber nicht alles ist ein unvermeidlicher Unfall. Lucas lebt nicht wie ein Krieger. Täte er es, dann hätte er gewußt, daß er wartet und worauf er wartet. Und er hätte diesen Lastwagen nicht in betrunkenem Zustand gefahren. Er raste gegen die Felsen am Straßenrand, weil er betrunken war, und zerschmetterte seinen Körper für nichts und wieder nichts.
    Für einen Krieger ist das Leben eine strategische Übung«, fuhr Don Juan fort. »Du aber, du möchtest den Sinn des Lebens finden. Ein Krieger kümmert sich nicht um den Sinn der Dinge. Hätte Lucas wie ein Krieger gelebt — und dazu hatte er Gelegenheit, wie wir alle -, dann hätte er sein Leben strategisch geplant. Wenn er also schon den Unfall, der ihm die Rippen brach, nicht vermeiden konnte, dann hätte er Mittel gefunden, um den Schaden auszugleichen oder seine Folgen zu vermeiden oder gegen sie anzukämpfen. Wäre Lucas ein Krieger, dann würde er nicht in seiner schmutzigen Hütte hocken und verhungern.«
    Ich widersprach Don Juan, wobei ich ihn selbst als Gegenbeispiel anführte und fragte, was wäre, wenn er selbst in einen Unfall verwickelt würde, bei dem er seine Beine verlöre. »Wenn ich es nicht vermeiden kann und meine Beine verliere, dann kann ich nicht mehr als Mensch leben, also werde ich mich mit dem vereinigen, was hier draußen auf mich wartet.«
    Mit einer kreisenden Handbewegung deutete er auf die Umgebung. Ich wandte ein, er hätte mich mißverstanden. Was ich hatte ausdrücken wollen, war die Tatsache, daß es für einen Menschen einfach unmöglich sei, alle Variablen, die sein alltägliches Handeln bestimmen, vorherzusehen. »Ich kann dir nichts anderes sagen«, meinte Don Juan, »als daß ein Krieger sich

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