Eine angesehene Familie
die sich teuflisch langsam schloß und alles Blut rund um das Herz aufstaute. Mein Spätzchen, dachte er. Mein schönes Spätzchen. Spielt Viola da Gamba und Flöte, kann sich berauschen an Tschaikowskij und Liszt. Ein so hübscher, fröhlicher, offener Mensch, der Tennis spielt, der wie ein Delphin schwimmen kann … Die Königin auf dem Tanzparkett – und die Drittbeste ihrer Klasse … Sie soll sich Heroin spritzen? Er erinnerte sich, als zuckten Blitze durch seinen Körper, an Schlagzeilen der Zeitungen: Können wir den Kampf gegen das Rauschgift noch gewinnen? – Schon wieder ein Heroin-Toter! – In Deutschland über 60.000 Süchtige! – Tot auf einer Parkbank. – Der 600. Heroin-Tote in Deutschland! – Immer mehr Jugendliche greifen zur Spritze! – Gehandelt wird überall: In Jugendheimen, in den Schulen, in Diskotheken, in Parks! Polizei machtlos und zu schwach besetzt! – Die neue ›saubere‹ Heroinwelle kommt …
»Seit wann wissen Sie das?« stöhnte Barrenberg.
»So richtig erst seit drei Minuten! Ihr Anruf kann nur bestätigen, was ich nie glauben wollte.«
»Ich glaube es jetzt noch nicht!« sagte Barrenberg. »Ich kann es nicht glauben. Meine Monika … Es will einfach nicht in meinen Kopf! Ich begreife das nicht!« Und plötzlich brüllt er, als foltere man ihn: »Was soll ich tun?! Helfen Sie mir! Holger, was soll man da tun?!«
»Ich werde Moni sofort suchen. Ich nehme meinen Freund, den Mediziner, mit.«
» Wo wollen Sie Monika suchen?«
»Auf der Szene …«
»Szene?«
»So nennt man die Zusammenkünfte der Fixer. Parkanlagen, besondere Plätze, gewisse Diskos, Nachtcafés … Es gibt davon gerade in Frankfurt eine ganze Menge.«
»Holen Sie mich hier ab! Ich komme mit!«
»Es ist besser, wenn wir das allein machen.«
»Holger – bitte!«
»Wenn Sie auf der Szene auftauchen, gibt es Radau! Mit Ihnen finden wir Monika nie! Das können wir nur allein.«
»Wenn ich hier allein bleibe, werde ich wahnsinnig!« schrie Barrenberg. »Nehmen Sie mich mit! Ich muß jetzt Menschen um mich haben …«
»Gehen Sie nach Hause zu Ihrer Frau.«
»Das halte ich noch weniger aus. Jetzt nichts zu sagen – das ist völlig unmöglich!«
»Haben Sie keinen Freund?«
»Freunde!« Barrenberg lachte bitter. »Die stehen Schlange bei mir! Aber nicht ein einziger wäre darunter, den meine Situation rühren könnte. Ich würde in ihren Augen nur Schadenfreude lesen – und zuschlagen! So ist mein Leben!«
»Dann saufen Sie sich einen an!«
»Wenn das bloß ginge, Holger! Ich kriege keinen Tropfen runter. Mir ist die Kehle zugeschnürt.« Barrenberg rutschte in seinem Sessel tiefer und stellte mit maßlosem Erstaunen fest, daß ihm Tränen über die Wangen rollten. Richtige Tränen. Das war so ungeheuerlich, daß er kapitulierte. »Ich bin am Ende, Holger«, sagte er leise. »Sie sind der erste, der es erfährt. Wenn Monika wirklich mit Heroin … Holger, mein ganzer Reichtum ist ein Misthaufen, wenn ich Monika auf diese Art verliere!«
»Wir werden sofort losfahren, Herr Barrenberg.« Man hörte Mahlert an, daß auch er um Fassung rang. »Wenn Monika auf der Szene untergetaucht ist, dann finde ich sie auch.«
Barrenberg ließ den Hörer fallen. Wenn, dachte er. Dieses verdammte Wenn. Und wenn sie woanders ist? Ich habe ihr die Wange aufgeschlagen … Er hob ruckartig die Hand, betrachtete den schweren Siegelring, riß ihn vom Finger und schleuderte ihn weg. Aber nicht der Siegelring trug die Schuld, und Barrenberg wußte es.
Bis zum Morgengrauen, bis auch in der letzten Disko, dem berüchtigten ›Happy-Strip‹, Schluß gemacht wurde, streiften Mahlert und Roßkauf durch die Stadt. Sie ließen sich anpflaumen und von den Kinderhuren ansprechen, die sich – wie alle in diesen Kreisen – die nächsten Schüsse mit ihrem Körper verdienten. Viermal mußten sie sich in einem Ring von Fixern, der sich gefährlich um sie schloß, ausweisen, daß sie keine Bullen waren, sondern harmlose Studenten, die nach einem Mädchen suchten, das ihnen weggelaufen war. Das verstanden die anderen sofort, grinsten, rissen schweinische Witze und ließen die beiden laufen.
Im Café ›Pfiff‹ stießen sie auf eine Spur. Jemand erzählte für zwanzig Mark, daß Bibi, ein süßes, aber wildes Kind, eine Freundin habe, seit kurzem erst, was verwunderlich sei, denn jeder arbeite hier für sich allein und ziehe keine Konkurrenz groß, aber Bibi habe sich eine Freundin zugelegt, und zu zweit zögen sie los und
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