Eine angesehene Familie
weniger dramatisch vor, als sie sich das vorgestellt hatte. Es waren ein paar Minuten gewesen, in denen sie eben völlig abgeschaltet hatte. Viel schlimmer hatte ihr die nachfolgende Diskussion zugesetzt. Bollwitz' Skrupel, sein Versuch, sich nach diesem Geschehen sogar noch väterlich zu gebärden und missionarische Reden zu halten – das hatte sie völlig entnervt – bis sie ihn angeschrien hatte: »Halten Sie doch den Mund! Verdammt, vergessen Sie endlich, daß ich die Tochter von Eduard Barrenberg bin! Ich will sie nicht mehr sein! Ich will in einer anderen Welt leben!«
Dann hatte sie sich im Badezimmer eingeschlossen und sich einen neuen Druck gegeben. Die innere Unruhe hatte ihr signalisiert, daß es wieder an der Zeit war. Danach fühlte sie sich ruhig und ausgeglichener, lachte sogar mit Bollwitz und benahm sich so, wie sie glaubte, so müsse sich eine Luxushure benehmen. Der Fabrikant starrte sie mit runden fassungslosen Augen an, schüttete, vom Schuldgefühl getrieben, den Alkohol nur so in sich hinein und bezwang, bevor er der Trunkenheit unterlag, den Drang, von Monikas Körper noch einmal Besitz zu ergreifen und sich für zweitausend Mark Gegenleistungen zu holen.
Am Morgen brachte er Monika in die Stadt und setzte sie auf ihren Wunsch an der Opernhausruine ab. Ein letzter Versuch, sie noch umzustimmen, mißlang. Er sagte:
»Steig wieder ein und komm zu mir!«
Und Monika antwortete hart: »Hauen Sie ab! Wenn ich Geld brauche, stehe ich meistens hier. Wir können ja dann wieder verhandeln.«
Hubert Bollwitz nickte, seine Kehle wurde trocken, er blieb im Wagen sitzen und blickte Monika nach, wie sie über den Opernplatz trippelte. Ein hübsches, schlankes Mädchen mit langen Beinen und wehenden Haaren. Tochter aus gutem Hause. Klug und kunstbegabt. Eine sonnige Welt stand ihr offen – aber sie hatte den muffigen Keller gewählt. Wer konnte das begreifen?
Einen Augenblick dachte Bollwitz daran, anonym bei Barrenberg anzurufen und ihm einen Wink zu geben. Aber dann sagte er sich, daß dies eine Gemeinheit wäre, nachdem er den Absturz dieses Mädchens mit zweitausend Mark honoriert hatte. Er kam sich abscheulich vor, begann vor Ergriffenheit zu schwitzen und beschloß, jeden Tag an der Opernruine vorbeizufahren und Monika, so oft das möglich war, einzuladen und zu sich zu nehmen.
Bis zum Abend hatte Barrenberg seiner Frau verschwiegen, was sich am Morgen zugetragen hatte. Nach dem Gespräch mit der Kriminalpolizei und dem enttäuschenden Telefonat mit Bettina fuhr er wieder herum, besuchte einige Baustellen und kehrte in sein Büro erst zurück, als die Angestellten schon nach Hause gegangen waren. Lediglich der Nachtwächter, Opa Wimmer, war tätig, schlurfte im Haus herum und kontrollierte die beiden Putzfrauen, die in den Büroräumen den Kunststoffboden wischten.
Barrenberg verkroch sich in sein Chefzimmer, drückte ganz unnötigerweise auf den Knopf, der eine rote Lampe über der Tür aufleuchten ließ, was soviel bedeutete wie: ›Wer jetzt reinkommt, wird hinausgebrüllt!‹ und rief Maria an.
»Ich bin hier«, sagte er. »Im Büro. Ist was los?«
»Wieso? Was soll los sein? Es weiß wieder keiner, wann du zum Essen kommst.«
»Das weiß ich auch nicht.«
»Na also.«
»Ruf bitte mal Monika. Ich muß sie was fragen.«
»Sie ist nicht da«, sagte Maria ruhig. Barrenberg stierte auf ein Bild, das gegenüber an der Wand hing. Ein alter Stich vom unvollendeten Kölner Dom, das Geschenk der Architektenkammer zu seinem 25jährigen Geschäftsjubiläum. Sie ist nicht da! Das sagt sie so ruhig. Sie weiß also nichts. Ist völlig ahnungslos. Sie soll es bleiben, so lange es möglich ist. Ich werde das schon regeln. Das ist eine Männer-, eine Vatersache. Mütter haben dafür nicht die Nerven.
»Wieder bei einer ihrer Freundinnen?« fragte er mit bemüht gleichgültiger Stimme.
»Wahrscheinlich. Diesmal hat sie keinen Zettel geschrieben. Wie froh werde ich sein, wenn das Abitur endlich hinter ihr liegt.«
»Ich auch. Bis später, Maria.«
»Was heißt später, Eduard?«
»Ich habe noch viel zu tun. Ich esse vielleicht hier im Büro, lasse mir von Wimmer etwas aus der Kneipe holen. Was hast du heute abend vor?«
»Nichts. Aber ich kann ja zu Ljuba fahren. Max ist wieder in Argentinien und will ganze Rinderherden kaufen, um sie als Gefrierfleisch herüberzuholen. Wenn du kommst, und ich bin weg, kannst du mich bei Ljuba erreichen.«
»Ist gut, Maria.« Barrenberg legte auf. Er beneidete
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