Eine angesehene Familie
'raus!« Aber es half nur für zwei Wochen, dann hieß es wieder: »Spätzchen, leg die Kleider für die Reinigung zurecht!«
»Du mußt doch etwas essen!« sagte Maria. »Oder gab es in der Pause einen Imbiß?«
»Nein.« Sie hätte Ja sagen können, dann hätte es keine Diskussion gegeben. Aber sie log nicht, obgleich ihr der Gedanke durch den Kopf schoß, es wäre vielleicht klüger gewesen, jetzt die Unwahrheit zu sagen.
»War das Konzert nicht gut?«
»Es war fabelhaft, Mama! Wenn man bedenkt, daß ein König so etwas komponiert hat! Stell dir vor, wir hätten einen Staatspräsidenten, der ein Jazz-Konzert komponiert!«
»Undenkbar! Aber warum Jazz?«
»Jeder im Stil seiner Zeit, Mama.«
Die Tür zur Garage klappte, Eduard Barrenberg schloß hinter sich die schwere Stahltür zu, die von der Villa in den Garagenbau führte. Gleich würde seine Stimme das Haus erfüllen. Die übliche Beamtenschelte, wie mindestens dreimal in der Woche. Aber trotz aller Klagen – die Schlachten mit den Bauämtern brauchte er. Sie waren das Salz seines Lebens. Sich über die Behörden aufzuregen – das war wie eine Kraftpille, die er jeden Tag schlucken mußte.
»Es gibt Kotelett mit Blumenkohl, Spätzchen«, sagte Maria.
»Ich möchte lieber ins Bett, Mama.«
»Ist dir nicht gut?« Maria kam näher. Monika hatte keine Möglichkeit mehr, zurückzuweichen. Hinter ihr, in der Diele, rumorte Papa. Der Weg zur Treppe nach oben führte an ihm vorbei. Und in der Diele war es hell.
»Ein bißchen schwindelig, Mama.«
»Dieses Mopedfahren! Immer im Zugwind! Da bleibt ja nicht aus, daß man sich erkältet. Du wirst sehen, das geht alles auf die Nieren und die Blase. Gerade du als Mädchen müßtest –«
»Ich weiß, Mama. Wenn schon, dann Wollschlüpfer … Gute Nacht!«
Sie wollte zur Treppe, ehe ihr Vater nach einem Umweg über die Toilette in der großen Diele erschien. Aber Barrenberg hatte bereits seine Jacke an der Garderobe aufgehängt und stampfte heran. Diese Hemdsärmeligkeit hatte Maria früher schockiert; für sie gehörte es sich, daß man ›angezogen‹ zu Tisch kam, so hatten es auch ihre Eltern gehalten. Zum Abendessen erschien ihr Vater sogar oft im dunklen, in jedem Fall in einem gedeckten Anzug, mit weißem Hemd und Krawatte. Eduard nahm auch noch den Schlips ab, nach der Devise: In meinem Hause darf ich Mensch sein! Und wenn's mir behagt, sitze ich in der Unterhose am Tisch – wen stört das?! Dafür habe ich mir ja ein Haus gebaut, daß ich hier so sein kann, wie es mir gefällt!
»So spät, Kikak?« fragte Barrenberg.
»Es ist erst elf Uhr, Papa.«
»Aber …«
»Ich war doch im Konzert.«
»Stimmt! Die Beamten vertreiben mir jeden anderen Gedanken! War's schön?«
»Wunderschön, Papa.«
»Hat der Solist die Flöte geblasen – oder hat er mit ihr geschlagen?«
»Wieso denn, Papa?«
»Du hast an der linken Hand Blut.«
Monika zuckte zusammen. Dann entdeckte sie die Flecken. Freddys Blut. Sie winkte ab.
»Auf der Rückfahrt klemmte die Bremse, Papa. Scheußlich. Ich mußte eine ganze Weile daran herumfummeln, dabei muß ich mich geritzt haben. Tut nicht weh.«
Wie glatt das ging. Wie leicht man lügen kann, ohne daß sich Stimme und Gesicht verändern! Sie winkte ihrem Vater zu und sprang die Treppe hinauf. Immer zwei Stufen auf einmal. Nur weg aus der Gefahrenzone!
Von ihrem großen Zimmer mit dem Balkon zum Garten ging sie sofort in das angrenzende Bad, drehte den Warmwasserhahn auf und hielt beide Hände unter den Strahl. Als es zu heiß wurde, trocknete sie die Finger so gründlich ab, als wolle sie sich die Haut abziehen.
Dieses Bild – wie sich Freddy an der Hauswand krümmte und wie der Anblick des weißen Pulvers im Tütchen ihn vollkommen veränderte – ließ sie nicht mehr los. Sie setzte sich auf die breite Couch am Balkonausgang, stützte den Kopf in beide Hände und fragte sich, ob Freddy noch zu heilen wäre.
Sie hatte schon viel über Heroin gelesen, über Kokain, LSD, Hasch, Meskalin und Opium, Horrorgeschichten, Bilder von zerstörten Fixern, von Toten nach dem ›Goldenen Schuß‹, Berichte über Kinderprostitution, über Morde wegen eines einzigen ›Schusses‹, wie man die Injektion nannte. Sie hatte in der Helferinnen-Ausbildung beim Roten Kreuz gelernt, wie man Spritzen setzt, hatte auch zwei Lichtbildvorträge besucht, die sich mit dem Rauschgiftproblem beschäftigten. Aber noch nie war sie einem Heroinsüchtigen begegnet, und schon gar nicht hatte sie mit
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