Eine angesehene Familie
Sie sah um Jahre verjüngt aus. Eigentlich hieß Henriette Dupar schlicht Erna Bölcke, aber seit es auch nicht mehr Friseur, sondern Internationaler Coiffeur heißt und ein Hauch von Paris und den Champs-Elysées um jeden Haarladen wehen muß, hatte Erna sich in Madame Dupar verwandelt. Sie trug ausgefallene Kleider von St. Laurent oder Lagerfeld, benutzte exotische Parfüms und verzichtete trotz einer angenehmen Pummeligkeit auf BH und andere Körperstützen. Ihr Gesicht war ein Musterbeispiel kosmetischer Zauberei; man erzählte sich, daß eines Tages ihre Mutter in den Salon gekommen war und sie gefragt hatte: »Kann ich meine Tochter sprechen?«
Ohne Zweifel verstand sie ihren Beruf, Maria Barrenberg erhob sich aus dem Frisierstuhl und betrachtete sich mit glänzenden Augen. Fünfundvierzig Jahre sind heute für eine Frau kein Alter mehr, sondern der Höhepunkt der Reife. Aber wenn man durch einen kleinen Trick aussehen kann wie Fünfunddreißig, dann flüchtet man in diese Maske und ist stolz darauf.
»Ihr Mann wird begeistert sein!« sagte Henriette Dupar, während sie Maria Barrenberg in die Kostümjacke half. »Ich könnte mir denken, wenn ich verheiratet wäre – mein Mann müßte da eine Flasche Champagner knallen lassen.«
Hier zeigte sich eine gewisse Diskrepanz zwischen französischem Namen und bourgeoiser Ausdrucksweise, aber gerade das machte Henriette bei ihren Kundinnen so beliebt. Man konnte mit ihr über alles reden, sie war trotz ihrer erst dreißig Jahre ein Beichtvater von unermüdlicher Aufnahmefähigkeit und – was sie besonders wertvoll machte – von absoluter Verschwiegenheit. Der Nachteil allerdings war, daß die Erzählungen ihrer Damen sie immer mehr davon abhielten, selbst eine Ehe einzugehen. Sobald die Kundinnen im Sessel saßen und sich zur Haarwäsche befreit nach hinten lehnten, schienen sich seelische Schleusen zu öffnen, Talsperren voller Schicksale strömten aus, und Henriette Dupar erfuhr Dinge, die sie bisher nie für möglich gehalten hatte. Die Wände der Häuser und Etagen wurden zu Glas – und was sich dahinter abspielte, war zwar das wahre Leben, aber es war auch zutiefst erschreckend. Wenn man die Lebenserfahrungen der Friseurkundinnen addierte, bestand das männliche Geschlecht nur aus impotenten Ungeheuern. Trotzdem ließen die Damen nichts auf ihre Monster kommen; sie liebten sie mit einem herrischen Besitzanspruch.
»Mein Mann …« Maria Barrenberg betrachtete sich im Spiegel. Der schmale Kopf mit den großen blauen Augen, der griechischen Nase und den geschwungenen Lippen, die Eduard, als er um sie bemüht war, einmal den ›Kußmund‹ genannt hatte, wurde durch die neue Frisur wie durch einen Helm begrenzt. Die Haare waren gefärbt; ursprünglich von einem wie Kastanien schimmernden Braun, leuchteten sie jetzt in einem kupfernen Goldton, der geradezu aufflammte, wenn die Sonne darauf fiel. Ihr Körper konnte sich noch sehen lassen … nicht nur in einem Kostüm oder Kleid, sondern auch im Bikini, wie sie ihn beim letzten Urlaub auf Ischia getragen hatte. Eduard hätte es ohne die Fernsehleute vielleicht gar nicht bemerkt; aber auch die Italiener hatten auf Maria Blicke abgeschossen, die für jede weniger charakterfeste Frau eine Versuchung bedeutet hätten.
Früher – vor 22 Jahren – war sie nicht nur die jüngste, sondern auch die schönste Klaviervirtuosin gewesen, eine Pianistin, von der die Kritiker schrieben: »Was ist schöner – ihr Spiel oder ihre Erscheinung?« Für Eduard Barrenberg jedenfalls schien es ihr Körper gewesen zu sein. Nach der Hochzeit gestand er ihr, daß er nur durch einen dummen Zufall in das Konzert geraten war, durch einen ganz dämlichen Witz seines Freundes Fritz, der ihm die Eintrittskarte gegeben hatte mit den Worten: »Das ist was für dich! Eine Operette mit vierzig Ballettmäuschen. Fast nackt! Hast die erste Reihe, kannst ihnen voll ins Auge blicken!« Als er dann den einsamen Flügel auf der Bühne gesehen hatte, war ihm klar geworden, daß Fritz ihn angeschmiert hatte. Aber er blieb trotzig sitzen und ließ das Schumann-Konzert über sich ergehen. Für ihn war's eine Qual, dieses wilde Geklimper, – aber das Mädchen, das da mit wehenden Haaren in die Tasten griff, war eine Wucht!
Eduard Barrenberg hatte daraufhin einen Einfall, den er bislang für völlig abwegig gehalten hätte, nämlich: Fräulein Sakrow – wie Maria damals hieß – um ein Autogramm zu bitten. Er wartete vor dem Künstlerausgang auf sie,
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