Eine angesehene Familie
bekam sie auch zu fassen und sagte zu ihr: »Dieser Schumann mag wohl ein toller Knabe sein, aber Sie spielen ihn völlig falsch!«
So entstehen Bekanntschaften, so führt das Schicksal Menschen zusammen. Maria ließ sich erklären, wieso sie falsch gespielt habe, und hörte als Argument: »Der Flügel stand falsch. Er hätte nicht auf der Bühne, sondern bei mir zu Hause stehen müssen …«
Erstaunlich, daß man auf solche Reden noch hereinfällt, aber Maria verliebte sich in den begabten Architekten Barrenberg. Von da ab spielte sie nur noch, wenn Eduard im Büro war oder wenn sie eine kleine Gesellschaft gaben. Später, als die Kinder größer waren, führte sie die Musikabende ein und begleitete Monika, die so gut Gambe spielte. Aber da war es schon mehr Trotz als künstlerischer Drang. Trotz gegen Eduard, der zwar seiner Phantasie steinerne Denkmäler baute, aber im Grunde so amusisch war, daß er einmal – sogar der Regierungspräsident war dabei! – bei einer Soiree sagte: »Maria, 70 Prozent unserer Gäste sind jung. Spiel mal 'n heißen Rock!« Sie hatte darauf virtuos einen Walzer von Chopin gespielt, von Chopin, nicht von Strauß, Lanner, Lehar oder Robert Stolz. Aber Eduard hatte gar nicht gemerkt, daß das ein Protest war. Merkte er überhaupt noch etwas im Zusammenhang mit ihr?
»Mein Mann …«, wiederholte Maria und lächelte sich im Spiegel an. Ich könnte fast meine Tochter sein, dachte sie mit einem Anflug von Narzißmus. Wie die Frisur und ein bißchen Kosmetik den Menschen verändern können! »Ob er das sieht?«
»Er ist doch nicht blind!« sagte Madame Dupar.
»Das glauben wir!« Die Resignation so vieler Frauen erfolgreicher Männer schwang in ihrer Stimme. »Er wird nach Hause kommen, in der Diele schon seine Jacke ausziehen, sie irgendwohin werfen – ein Glücksfall, wenn sie wo hängen bleibt –, wird ins Zimmer kommen, sich in einen Sessel werfen und stöhnen: – ›War das ein Tag! Man sollte eine Umfrage starten: Bestehen Bauherren nur aus Idioten?‹ – Und dann wird er sagen: ›Wenn ich jetzt ein Bier hätte, das würde zischen!‹ Und dann bringe ich ihm das Bier, und es zischt!« Maria lächelte mit heruntergezogenen Mundwinkeln. »Aber die neue Frisur sieht er nicht.«
»Diese Männer!« sagte Henriette Dupar lapidar. Den Tonfall mochten alle ihre Kundinnen, sie nickten immer beifällig. Auch Maria Barrenberg nickte und tröstete sich damit, daß wenigstens sie sich über ihren Anblick freuen konnte – und das ist ja auch schon ein Gewinn.
Nach dem Mittagessen mit Monika – Eduard rief aus dem Büro an, er könne nicht kommen, zwei Beamte des Hochbauamtes mit dem Intelligenzquotienten von Schimpansen hielten ihn auf – hatte sie zwei Briefe geschrieben und dann drei Stunden am Flügel geübt. Es waren herrliche Stunden, die Türen zur Terrasse standen offen, der Garten blühte ins Zimmer, die Vögel zwitscherten, das Blau des Himmels ließ die Unendlichkeit ahnen, und sie hatte Brahms gespielt und war sich schwerelos vorgekommen.
Am Nachmittag hatte sie eine Freundin besucht. Ljuba Antonowna Rolle. Ein Jahr älter als sie und ebenfalls von Tragik umwittert. Ljuba war Tänzerin gewesen, erst in Rußland beim Kirow-Ballett, dann Solistin an der Münchener Staatsoper. Dort hatte Max Rolle das zierliche Püppchen gesehen und zu seinem Nachbarn gesagt: »Die heirate ich! Wetten?!«
Er schaffte es; er war Millionär, schon damals, Inhaber einer Fleisch- und Wurstwarenfabrik; seine Produkte, Spezialität Schweinskopf-Sülze nach Großväterart, verschickte er in alle Welt. Ljuba Antonowna, die nie sagte, wie sehr sie unter dem Namen Rolle und dem Hackklotz-Charme ihres stiernackigen Mannes litt, tanzte auch heute noch – allerdings genauso heimlich wie Maria Klavier spielte. Wenn Ljuba tanzte, begleitete Maria sie am Flügel, – und diese Übung hatte den Nachmittag ausgefüllt. Zwei glückliche Menschen hatten sich mit einem Kuß verabschiedet. Am Abend waren die Männer wieder da – die andere Seite des Lebens.
Kurz vor 19 Uhr – Monika machte sich für das Flötenkonzert zurecht – hatte Eduard wieder angerufen. »Ich komme später! Maria, wenn du wüßtest, was hier los ist! Nur Schwierigkeiten! Jetzt stellt sich heraus, daß die Bodenuntersuchungen nicht stimmen, bei dem neuen Geschäftshaus in Bad Soden. Der Grundwasserspiegel ist viel höher! Wir müssen eine Wanne bauen und das Haus da hinein setzen. Man könnte die Wände hochgehen.«
»Wann kommst du?«
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