Eine angesehene Familie
hatte Maria gefragt. Sie kannte solche Reden seit zwei Jahrzehnten.
»Unbestimmt! Der ganze Scheißdreck muß neu berechnet werden. Wir sitzen hier mit drei Statikern zusammen. Warte nicht mit dem Essen auf mich, es kann spät werden. Wir müssen die neuen Berechnungen fertig kriegen …«
»Es ist gut«, hatte Maria geantwortet. »Monika geht in ein Konzert. Wir essen dann, wenn das Konzert zu Ende ist.«
»Nicht meinetwegen! Wir werden sicherlich nach der Arbeit gemeinsam irgendwo eine Kleinigkeit essen und ein Bier zischen!« Maria hatte trüb gelächelt. Bei Eduard zischte alles, was durch die Kehle rann. »Wartet nicht auf mich. Ich kann keine Zeit nennen …«
Nach diesem Telefongespräch war er beschwingt und fröhlich zu Bettina Ahrendsen gefahren, aber das wußte Maria ja nicht. Sie glaubte ihm bedingungslos und erzählte es auch ihren Freundinnen, die im gleichen Schicksal lebten: Der Beruf frißt Eduard noch auf. Ich habe Angst um sein Herz. Dieser tägliche Streß! Das Leben ist mörderisch geworden! Aber er gönnt sich keine Ruhe, kein bißchen! Für wen schuftet er so?! Wir haben doch alles, es geht uns gut, und mehr als ein Steak und eine Flasche Wein kann er sowieso nicht mehr essen und trinken.
Am Abend war Maria allein, saß vor dem Fernseher, freute sich über eine Quizsendung und riet mit, wobei sie feststellte, daß sie alle Fragen sofort beantworten konnte. Ich wäre eine schreckliche Kandidatin, dachte sie. Eine Qual für den Quizmaster.
In der Küche war alles vorbereitet. Das Hausmädchen, das heute frei hatte, hatte alles hingestellt: Die Kartoffeln in Salzwasser, der Blumenkohl kochfertig, die Lummerkoteletts auf einem Brett, gesalzen und gepfeffert, bratfertig. Im Kühlschrank stand der Nachtisch. Selbstgemachte Rote Grütze mit Vanillesoße. Für den Hausherrn zwei Portionen. Wenn Eduard Rote Grütze sah, leuchteten seine Augen. Wie sagte er immer? »Rote Grütze macht mich ganz geil!« Maria fand das ordinär, aber Eduard war nun mal so. Auch als Millionär lebte er die meiste Zeit des Tages unter Bauarbeitern. Er war nicht nur der geniale Entwerfer, er fühlte sich auch am Bau wohl, ›an der vordersten Front‹. Seine Worte …
Fast gleichzeitig trafen Vater und Tochter ein. Maria hörte, wie Eduard seinen Wagen in die Garage rollen ließ; als sein Motor abstarb, klang von der Gartenseite über den hinteren Weg der Villa das Knattern des Mopeds. Maria sprang auf, lief in die Küche, drehte die Kochplatten des Herdes an und spürte so etwas wie eine innere Befreiung.
Sie waren alle wieder da. Der Tag war zu Ende, und nichts war geschehen. Gleich würden sie um den Tisch sitzen, zufrieden und gesund, und erzählen, was sie bewegte. Eduard würde über die Behörden schimpfen, Monika würde von dem Flötenkonzert berichten, und Maria würde dasitzen, zuhören, vielleicht das Kinn auf eine Hand stützen, und sie beide ansehen. Und das Licht der Lampe würde auf ihr Haar fallen!
Ob Eduard ihre neue Frisur bemerken würde?
Sie deckte die Töpfe zu, schob die Bratpfanne zurecht und ging ins große Wohnzimmer zurück.
Monika kam als erste herein. Ohne Lederjacke und Sturzhelm, in ihrem dunkelblauen, diskret geblümten Kleid, das so gar nicht zu einem Moped paßte, sah sie geradezu damenhaft aus. Sie hatte schon jetzt einen stärker gerundeten Busen als ihre Mutter. Sie blieb an der Tür stehen, im Halbdunkel.
»Guten Abend, Mama«, sagte sie. Ihre Stimme klang etwas gepreßt. »Hier bin ich wieder …«
»Das Essen ist in einer Viertelstunde fertig, Spätzchen.«
»Ich habe gar keinen Hunger, Mama.« Monika trat noch weiter in den Halbschatten zurück. An das Kosewort Spätzchen hatte sie sich gewöhnt; sie hatte, solange sie denken konnte, nichts anderes gehört, nur Papa sagte manchmal in seiner direkten Art ›Kikak‹, weil sie als Kleinkind ›Monika‹ noch nicht hatte aussprechen können und auf die Frage: »Wie heißt du denn?« mit geschürzten Lippen geantwortet hatte: »Kikak.« Allerdings gebrauchte Papa ›Kikak‹ nur innerhalb der Familie, nie vor fremden Leuten, während Mamas Spätzchen stets gegenwärtig war, ob im Laden oder im Bekanntenkreis, ob vor ganz unwichtigen Leuten oder in Anwesenheit von Monikas Freunden. Sie erinnerte sich noch gut an die Zeit – da war sie fünfzehn –, als sie sich geschämt hatte, wenn Mama Spätzchen zu ihr sagte. Einmal hatte sie sich lauthals beschwert: »Bitte, nenn mich nicht immer Spätzchen! Ich bin aus den Windeln
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