Eine angesehene Familie
Sicherheitsgurten, blutüberströmt, die Gesichter von dicht beieinander liegenden Einschüssen völlig entstellt. Ein Polizist schlug mit einem abgesprungenen Blechteil in den Motorraum, um die Hupe abzustellen, bis er auf den Gedanken kam, an den Toten vorbeizugreifen und den Zündschlüssel herumzudrehen. Der entnervende Ton verstummte.
Die Mordkommission kam eine Viertelstunde später. Kurz darauf ein amtlicher Leichenwagen mit den berühmten flachgewölbten Zinkwannen. Bevor noch die Beamten in Tätigkeit traten, schoß der Polizeifotograf die ersten Bilder von der Unfallstelle, fotografierte die beiden Toten, machte Großaufnahmen der entstellten Köpfe und hielt auch die Umgebung im Bild fest. Erst dann beugte sich der Chef der Mordkommission in das Autowrack und besichtigte die Toten. Die Spurensicherung begann.
Es gab nicht viel zu sichern. Auf der Straße fand man, verstreut, zehn ausgeworfene Patronenhülsen von MPi-Munition. Alle Augenzeugen wußten das Tatfahrzeug zu beschreiben: Ein hellblauer BMW. Der Polizeiarzt, der eine halbe Stunde später eintraf, sagte lakonisch: »Sie sind tot!«
»Bravo!« Hauptkommissar Engelbrecht klopfte dem Arzt auf die Schulter. »Auf diesen Gedanken wäre ich nie gekommen!«
Der Polizeiarzt grunzte. Es war vergeudete Zeit, sich mit Engelbrecht anzulegen. Man kannte seinen Sarkasmus: er war geschult am kriminalistischen Alltag Frankfurts. Wer sich hier noch einen Funken Glauben an Menschlichkeit bewahrte, war ein gottgefälliger Idealist.
»Die Obduktion bekommen Sie morgen früh! Oder muß ich Ihnen auch sagen, daß sie erschossen wurden?« Der Polizeiarzt gab die Leichen frei. Die Träger mit den Zinkwannen marschierten heran. »Nachmittags, um 17 Uhr 23, aus einem fahrenden Auto mit MPi-Garben liquidiert. Wer waren die zwei?«
Engelbrecht blätterte in den Ausweisen, die man den Toten aus den blutigen Jacken gezogen hatte. »Kemal Özdogan und Ismail Gögök.«
»Türken?«
»Mit Sicherheit keine Grönländer.«
»Witzbold!« Der Polizeiarzt beobachtete, wie die beiden Zinksärge in den Leichenwagen geschoben wurden. Die Klapptüren knallten zu. »Ich rieche da etwas.«
»Auslaufendes Öl.«
»Rauschgift, mein Lieber. Türken, die so einen Wagen fahren, handeln entweder mit Teppichen oder mit Heroin. Na, sagen wir, meistens. Aber wegen Teppichen wird man nicht umgelegt. Das ist die Umgangssprache einer härteren Branche.«
»Doktor, ich habe Sie wirklich verkannt«, sagte Hauptkommissar Engelbrecht. »Sie haben am Seziertisch nicht vergessen, wie das Leben so spielt. Natürlich ist das ein Bandenkrieg, und was für einer! Darauf habe ich längst gewartet, um ehrlich zu sein. Auf der Szene war es mir seit Monaten viel zu ruhig! Da hing etwas in der Luft. Jetzt haben wir den ersten frischen Wind.«
»Sie meinen, das ist erst der Anfang?!«
»In diesen vornehmen Kreisen herrscht Bibeltreue: Auge um Auge, Zahn um Zahn! Das Auge wird gerade abtransportiert – nun muß der Zahn folgen. Ich werde den Kollegen Döhrinck in die Sache einbeziehen, der ist mit den feinen Herren fast per Du! Bestimmt kennt er diesen Özdogan.«
Natürlich kannte Döhrinck den Türken Kemal. Sofort nach dem Anruf von Engelbrecht fuhr Döhrinck mit drei Mitarbeitern zum gerichtsmedizinischen Institut, wo die beiden Toten bereits auf den Marmortischen lagen, fertig zur Obduktion. Die Karteikarten hatte Döhrinck gleich mitgenommen. Es war leicht, die Toten zu identifizieren. Die Gesichter, soweit noch vorhanden, stimmten mit den Fotos der Kartei überein, vor allem aber stimmten die Fingerabdrücke. Döhrinck verließ nach einem langen Blick auf die Toten den Obduktionsraum.
Draußen wartete Engelbrecht und rauchte eine dicke schwarze Zigarre. Sie war von seinen Mitarbeitern fast ebenso gefürchtet wie sein Sarkasmus.
»Jetzt atmen Sie auf, was?« sagte er. »Dicker Fisch?«
»Das weiß man nicht.« Döhrinck lehnte sich in die Fensternische. »Man konnte Kemal nie etwas nachweisen. Und Ismail Gögök kam nur in die Kartei, weil er, laut Flüsterinformation, der Leibwächter von Kemal sein soll. Das muß ja alles blitzschnell gegangen sein.«
»Sekundensache!«
»Voll-Profis also.«
»Und wie! Da tränen einem die Augen vor soviel Präzision.« Engelbrecht paffte eine dicke blaue Wolke gegen die Decke. Eigentlich hätte er schon dreimal gestorben sein müssen. Einmal an Lungenkrebs, das zweite Mal an Bronchienverteerung, zum dritten an Nikotinvergiftung. Aber Engelbrecht galt als
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