Eine angesehene Familie
Training fürs Mündliche.« Sie lachte wieder. Holger Mahlert sah seinen Freund Roßkauf glücklich an. Er saß im Bett, von vier Kissen gestützt, in der linken Vene, mit Leukoplast befestigt, noch immer die abgedichtete Infusionsnadel, so daß man jederzeit eine neue Flasche anschließen konnte. »Morgen habe ich schon um zwölf Uhr frei.«
»Da stehe ich vor der Schule.«
»Ich freue mich, Holger.«
Roßkauf tippte sich an die Stirn. »Du liegst morgen um zwölf mit dem Arsch im Bett!« flüsterte er. »Ich übernehme keine Verantwortung mehr!«
Holger beachtete ihn nicht. »Gestern Abend, da – da hat deine Stimme so verzweifelt geklungen. Es war wie ein Hilfeschrei. Was war denn los, Monika?«
»Nichts!« Sie stieß einen Pfiff aus, der Wurstigkeit demonstrieren sollte. »Ich hatte ein Tief. Das kommt vor. So einen Moralischen, weißt du?! Das ist so bei uns. Wir sind eben hysterische Weiber.«
»Aber Monika!«
»Papas Worte!« Sie lachte wieder. »Was machst du jetzt, gleich, am Abend?«
»Ich – ich sitze über einer chemischen Arbeit.«
»Keine Zeit?«
»Warum?«
»Ich wollte zum Hallentennis. Aber wenn du Lust hast, können wir uns auch treffen.«
»Wo?«
»Wo du willst!«
»Ich komme zur Tennishalle, einverstanden? In einer Stunde?«
»Fabelhaft. In einer Stunde, Holger!«
Mahlert legte auf und lehnte sich in die Kissen zurück. Dabei streckte er seinen linken Arm aus.
»Noch eine Pulle, Peter.«
»Wenn, dann nur Zyankali in dein Hirn!«
»Ich muß das durchhalten! Sie darf nie erfahren, daß mich der – der Andere niedergestochen hat. Ich muß ihr gegenübertreten, als sei alles normal.«
»Und auch noch Tennis spielen, was? Oben hüpft der Ball, unten tropft der Eiter! Das ist ausnahmsweise kein säuischer Medizinervers.« Roßkauf wedelte mit beiden Händen. »Ich weigere mich! Hörst du, ich weigere mich!«
Mahlert nickte und sank noch tiefer in die Kissen zurück. Roßkauf betrachtete ihn mißtrauisch. Daß Mahlert jetzt kapitulierte, war völlig unglaubwürdig.
»Glotz mich nicht so an!« sagte Mahlert grob. »Verschwinde in die Anatomie und schneide Leichen auf! Laß mich allein.«
»Du willst mich loswerden?«
»Ja.«
»Damit du keinen Zeugen hast, wenn du Idiot auf Tour gehst.«
»So ist es.«
»Kann ich sonst noch was für dich tun?«
»Besorge mir unten aus der Parfümerie Make-up Mittelbraun.«
»Bei dir dreht sich wohl ein Hammer hinter der Stirn?«
»Monika soll nicht sehen, wie bleich ich bin. Ich brauche etwas Farbe.«
»Vielleicht auch Parfüm gefällig? Schlage vor: Extrakt aus der Stinkdrüse des Moschusochsen.«
»Man soll nie glauben, daß man Freunde hat!« sagte Mahlert müde. »Hau ab und laß mich endlich allein …«
An diesem Nachmittag geschah ein Unfall. Passanten, die ihn miterlebten, begriffen gar nicht so schnell, was sich vor ihren Augen abspielte.
Auf der Bockenheimer Landstraße wurde ein hellgrauer Mercedes von einem lichtblauen BMW überholt. Das ist nichts Außergewöhnliches, auch nicht, daß beide Wagen ein paar Sekunden nebeneinander herfuhren, als sei der Überholende nicht schnell genug. Ungewöhnlich war allerdings, daß in den Fenstern des BMW die Läufe von zwei Maschinenpistolen erschienen und vier kurze Feuerstöße abgaben. Es knatterte wie eine Reihe Fehlzündungen, so kam es den Leuten auf der Straße vor. Der BMW beschleunigte und raste an dem Mercedes vorbei.
Erst, als der andere Wagen plötzlich ausbrach, Schlangenlinien fuhr und voll und ungebremst über den Gehsteig und gegen eine Hauswand fuhr, ganz knapp neben dem Schaufenster eines Gardinengeschäftes, mit einem ohrenbetäubenden, entsetzlich knirschenden Knall sich verformte, während die Hupe dröhnte, kochendes Kühlwasser aus dem zusammengedrückten Kühler schoß und die Türen aus den Angeln sprangen, begriff man, daß soeben etwas Ungeheuerliches in aller Öffentlichkeit geschehen war.
Ein Mann mit einem Hund schrie zuerst: »Das war der blaue BMW! Da ist geschossen worden!« Aber das war auch alles, was sich noch feststellen ließ. Die Nummer des davonrasenden Wagens war unleserlich, sie war mit Lehm beschmiert.
Minuten später sperrten vier Streifenwagen diesen Teil der Bockenheimer Landstraße ab und leiteten den Verkehr um. In dem Gardinengeschäft lag die Inhaberin mit einem Herzanfall hinter der Theke, umsorgt von drei Kunden, die nach einem Arzt riefen. Durch das Fenster konnte man in den zerfetzten Wagen blicken. Dort hingen zwei Männer in den
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