Eine Art von Zorn
mich aufmerksam an. Sie war sich nicht im klaren darüber, ob ich über sie lachte oder mit ihr. Ich sagte: »Lucia, ich glaube nicht, daß Sie Angst haben, nicht genug Geld zu haben. Ich glaube, Sie haben Angst, nicht genug Geld zu kriegen.«
Sie machte eine ungeduldige Handbewegung. »Das ist dasselbe. Ahmed hat das verstanden. Das wollte ich Ihnen erklären. Er sagte, daß er mir Geld geben würde, wenn er zu seinem Volk zurückginge. Es war sein Einfall. Wir schmiedeten Pläne, was ich damit anfangen könnte.«
»Wieviel Geld?«
Ihr Blick verlor sich in der Ferne. »Oh, etwa eine halbe Million Francs, vielleicht auch mehr.« Sie sagte es fast gleichgültig.
Hier wurden meine Motive wirklich unklar. »Sollte der Inhalt des Koffers zu Geld gemacht werden?«
»Ja.«
»Auf welche Art?«
»Auch das wollte ich Ihnen erklären, aber Sie unterbrechen mich ja ständig.«
»Entschuldigen Sie.«
Sie schenkte sich noch etwas Portwein ein und fuhr ruhig weiter. »Ahmed hatte nie Geldschwierigkeiten«, sagte sie. »Danach haben Sie mich schon gefragt. Als er im Exil in der Schweiz lebte, bestand eine diesbezügliche Vereinbarung mit den Leuten in Bagdad. Einige waren noch seine Freunde, andere waren seine Gegner, aber alle kannten sie Ahmed sehr gut. Er wurde sehr geschätzt, selbst von seinen Feinden. Außerdem war er Leiter des Sicherheitsdienstes gewesen. Als er zur Genfer Konferenz gefahren war, hatte er bestimmte Dossiers mitgenommen, da er mit politischen Veränderungen während seiner Abwesenheit rechnete.«
»Dossiers, die seinen Feinden gefährlich werden konnten, nicht?«
»Und seinen Freunden. Es war einfach eine Vorsichtsmaßnahme. Im Irak werden Freunde leicht zu Feinden und Feinde zu Freunden. So hat er es mir erklärt. Ahmed dachte sehr praktisch. Deshalb gab es keine Schwierigkeiten, als er in der Schweiz Geld brauchte. Seine Brüder und das Familienunternehmen waren geschützt, und sie durften ihm Geld schicken. Alles konnte arrangiert werden.«
»Wo sind diese Dossiers jetzt?«
»Ich habe sie.« Sie schob das Thema beiseite. »Aber auf die kommt es momentan nicht an. Was zwischen Ahmed und dem kurdischen Komitee vorgefallen ist, das ist jetzt von Bedeutung. Ahmed war Patriot, wie Sie wissen.«
»Das haben Sie schon gesagt.«
»Aber kein dummer Patriot.«
»Das glaube ich gern.«
»Während er in Zürich lebte, arbeitete er lange Zeit mit dem Komitee zusammen. Er hatte Erfahrung und einen guten Namen, er war ein hoher Beamter, er war Offizier und in der Armee sehr geachtet, kurzum: er war eine bedeutende Persönlichkeit. Verstehen Sie?«
»Ja.«
»Zuerst traute ihm das Komitee nicht recht. Er erzählte mir, einige Mitglieder glaubten, sein Exil in der Schweiz sei nur ein Vorwand der Regierung in Bagdad, um einen Spion in die Bewegung einzuschleusen. Aber im Lauf der Zeit gewann er an Einfluß, und sie begannen ihm zu glauben und zogen ihn in ihr Vertrauen. Und dann, ich glaube, es war vor ungefähr einem Jahr, geschahen einige Dinge, die ihn veranlaßten, ihnen zu mißtrauen.«
»Was für Dinge?«
»Wissen Sie etwas über die kurdischen Nationalistenbewegung?«
»Das Abkommen von Sèvres und all das?«
»Ja, all diese Enttäuschungen. Ahmed sagte, daß es zu viele gewesen seien, und daß das Komitee resigniert habe. Er sagte, daß Verbannte, die Unrecht erlitten haben und die für eine gerechte Sache kämpfen, eine innere Wandlung durchmachen, wenn sie zu lange auf die Erfüllung ihrer Wünsche warten müssen. Einige verlieren den Mut und resignieren. Sie sind harmlos. Andere werden aus Verzweiflung ihren Prinzipien untreu, und es ist ihnen jedes Mittel recht, wenn es sie nur an die Macht bringt. ›Wir wollen doch praktisch denken‹, sagen sie. ›Zuerst müssen wir an die Macht kommen, dann können wir unsere Politik neu gestalten.‹ Solche Männer, sagte Ahmed, seien entweder korrupt oder naiv. Auf jeden Fall seien sie gefährlich, und man müsse ihnen daher Einhalt gebieten.«
»Und er entschloß sich, ihnen Einhalt zu gebieten.«
»Ja. Wie Sie wissen, war es nach dem Zusammenbruch der kurdischen Republik von Mahabad im Jahre 1946 stets die Politik des Komitees gewesen, eine russische Unterstützung der Bewegung zurückzuweisen. Die Russen hatten die Kurden einmal im Stich gelassen und würden sie sicher wieder im Stich lassen. Die Kurden erkannten auch klar, daß ein mit den Russen verbündeter kurdischer Staat vom Westen niemals anerkannt würde. Jedenfalls sahen das die
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