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Eine Art von Zorn

Eine Art von Zorn

Titel: Eine Art von Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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mitbringen.«
    »Und die Aufzeichnungen selbst? Ich nehme an, sie sind noch immer in dem Koffer.«
    »Ja.« Ihr Gesicht war ernst geworden.
    Ich grinste. »Das ist unangenehm, nicht wahr, Lucia? Wenn alles plangemäß verläuft, kommt bald der furchtbare Augenblick, wo Sie mir alles anvertrauen müssen – die Aufzeichnungen und das Geld.«
    Sie errötete leicht und stand auf. »Ich glaube, es ist besser, wir essen heute abend wie sich’s gehört am Eßtisch«, sagte sie und ging in die Küche.
    Als sie am Sofa vorbeikam, blieb sie stehen. Ihre Handtasche lag dort. Sie nahm sie und zog ein gläsernes Pillenröhrchen heraus, das sie betont entschlossen auf den Couchtisch legte. Sie warf mir einen kurzen, flüchtigen Blick zu. »Das Luminal«, sagte sie.
II
    Das Ambulatorium befand sich in einem Stadtteil, dessen Straßen nach Komponisten benannt waren – Gounod, Verdi, Berlioz, Glasunow – und war weit entfernt von den großen Touristenhotels. Die Apotheke war, wie Lucia gesagt hatte, sehr geräumig, und ihre großen Schaufenster waren mit Waren und Papierdekorationen so ausgefüllt, daß man von der Straße her nicht ins Innere sehen konnte.
    Lucia fuhr um die Ecke und hielt knapp hinter dem Eingang des Apartmenthauses. Ich stieg aus und ging durch die porte cochère in den Hof. In der Loge des concierge plärrte der Fernsehapparat. Niemand sah mich.
    Im Hof waren zwei Wagen geparkt, und für zwei weitere war noch Platz. Auf einem Schild stand ›Privatparkplatz‹. Ich brauchte nicht lange nach dem Hintereingang des Ambulatoriums zu suchen; er war in der linken Ecke. An der Wand daneben war ein kleines Messingschild befestigt, auf dem ›Ambulatorium‹ stand, sowie der Hinweis, daß der Eingang für Ärzte und Personal reserviert sei.
    Ich ging zum Wagen zurück und setzte mich neben Lucia.
    »Es sieht so aus, als sei es noch in Betrieb«, sagte ich. »Nur eins macht mir Sorgen. Keines jener Hotels, in denen er Ihrer Meinung nach absteigen könnte, befindet sich in dieser Gegend. Warum sollte er den weiten Weg auf sich nehmen, um in eine Apotheke zu gehen? Da gibt es doch sicher einige, die näher beim Hotel sind. Warum sollte er in dieses Viertel kommen?«
    Sie dachte einen Augenblick lang nach. »Um in ein Kino zu gehen?«
    »Gibt es hier eines?«
    »Ich werde es Ihnen zeigen.«
    Sie wendete und fuhr an der Apotheke vorbei bis zur nächsten Hauptstraße, der Avenue Respighi. An der Ecke war ein Kino.
    Ich notierte die Adresse.
    »Ich habe nachgedacht«, sagte sie, als wir wieder zurück in Richtung Beaulieu fuhren. »Es wäre besser, wenn er mit einem ärztlichen Rezept in die Apotheke käme. Das heißt, wenn er wirklich überwacht wird.«
    »Wie stellen Sie sich das vor?«
    »Wie Sie gesagt haben, kommt dieser Herr aus dem Irak, aus dem Nahen Osten. Nun gut. Die Zeitzone ist eine andere. Er möchte schlafen. Er fragt im Hotel nach einem Arzt, der ihm Tabletten verschreibt. Falls er sorgfältig überwacht wird, wird das bemerkt werden. Er erhält das Rezept. Alles ist in Ordnung. Er geht in ein Kino, um sich die Zeit bis zum Essen zu vertreiben. Wie er das Kino verläßt, erinnert er sich an das Rezept. Er geht damit zur nächsten Apotheke und wartet. Um diese Zeit ist dort viel Betrieb. Niemand wird sich darüber wundern, daß er zwanzig Minuten oder länger warten muß. Niemand wird fragen, warum er so lange drinnen bleibt oder was er dort macht. Es ist normal, daß er warten muß. Was halten Sie davon?«
    »Sie sind mir im Pläneschmieden über.«
    Sie hörte Ironie und Sarkasmus heraus und wurde wütend. »Warum müssen Sie so unfreundlich sein? Ich meine es ernst.«
    »Ich auch. Ich halte es für eine sehr gute Idee. Das erste Treffen wird das wichtigere sein, denn da wird der Preis bestimmt. Je ungezwungener und gelöster die Atmosphäre ist, um so besser.«
    Es trat eine kurze Stille ein. Dann sagte sie: »Ich habe an den morgigen Tag gedacht.«
    »Ich auch.«
    »An die Magazine und Tageszeitungen und an den Rundfunk?«
    »Ja. Wie beschaffen Sie sich die Zeitungen?«
    »Die Frau bringt Nice Matin und, wenn sie daran denkt, manchmal auch eine Pariser Zeitung.«
    »Keine Abendzeitung?«
    »Nein. Gegen Mittag geht sie weg. Wir werden die Nachrichten hören und auf die Zeitungen halt bis zum Abend warten. Auf dem Weg hierher kann ich ja am Bahnhof halten. Dort ist es nicht so hell. Auf jeden Fall müssen wir das Risiko auf uns nehmen.« Sie warf einen kurzen Blick auf das Armaturenbrett. »Etwas müssen wir

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