Eine Art von Zorn
Spitzkehre oben am Hügel. Ich drückte das Gaspedal durch. Als wir an dem geparkten Wagen vorbeigefahren waren, hatte ich einen zweiten Mann bemerkt, der rittlings auf seinem Motorrad saß, ein angebissenes Sandwich in der Hand hielt und vor Überraschung vergessen hatte, den Mund zuzumachen. Im Rückspiegel hatte ich gesehen, wie er das Brot fallen ließ und auf den Starter trat.
Wir schleuderten durch die Kehre in die Querstraße direkt unterhalb der Corniche.
»Nach links!« schrie Lucia.
Ich bog links ein. Fast unmittelbar darauf schien die Straße unter uns wegzufallen – wir fuhren jetzt wieder den Hügel hinunter. Ich trat heftig auf die Bremse, und der Wagen überschlug sich fast. Es folgte eine Reihe von Haarnadelkurven, die ich viel zu schnell nahm, und dann hatten wir auch schon die Peripherie von Villefranche, oberhalb des Hafens, erreicht.
Lucia blickte nach hinten. »Ich glaube, er ist weiter zur Corniche hinaufgefahren«, sagte sie. »Ich glaube nicht, daß er gesehen hat, wie wir eingebogen sind. Sollen wir anhalten und uns vergewissern?«
Wir waren jetzt auf der unteren Hauptstraße, die nach Nizza führt.
»Ich glaube, es ist besser, wir fahren weiter«, sagte ich.
Ich war wütend auf mich. Mein unmännliches Bedürfnis nach Sicherheit hatte die Gefahr für uns beide vergrößert. Wir hatten nicht nur effektvoll demonstriert, daß wir von der Beobachtung wußten, sondern auch, daß wir ihr zu entgehen versuchten. Skurleti und seine jetzigen Verbündeten vom Komitee würden nun nicht bis zum späten Vormittag auf unseren Verrat warten müssen. Ich hatte den Beweis dafür schon selbst geliefert.
»Nun, jetzt wissen wir es«, sagte Lucia.
»Die anderen leider auch. Ich hätte vernünftiger sein sollen.«
»Ach, chéri , mach dir keine Vorwürfe. Wenn du nicht zurückgekehrt wärst, hätten sie auch nach uns zu suchen begonnen. Das kommt auf das gleiche heraus.«
»Aber wenn sie uns finden, kommt es nicht aufs gleiche heraus.«
»Dann dürfen sie uns eben nicht finden.«
Wir hatten schon vorher beschlossen, von Vence her nach Cagnes hineinzufahren und den Wagen in der Nähe der Rue Carponière stehenzulassen. Lucia dirigierte mich durch Nizza. Die Straßen waren so gut wie leer, und wir fuhren schnell. Kurz vor Cagnes verlangsamte ich das Tempo, damit sie nach der Seitenstraße, die zur Gemüsegärtnerei führte, Ausschau halten konnte.
Wir fanden sie schnell und fuhren an einem Bauernhof und ein paar Hütten vorbei den Berg hinauf bis zur Gärtnerei, einem rautenförmigen Streifen Land, hinter dem der Olivenhain anstieg. Das Sträßchen war zum Weg geworden. Er führte um eine eingezäunte Parzelle voll Glasglocken, alle schön in Reih und Glied, zu den Gewächshäusern und endete vor einem zweistöckigen Haus.
Ich hielt schon bei den Gewächshäusern, damit das Geräusch des Wagens keinen Hund aus dem Haus lockte, und da Lucia befürchtete, daß wir schon zu nahe seien, wendete ich so leise wie möglich und fuhr dem Zaun entlang bis ans Ende des Grundstücks, wo ich unter einer Platane parkte.
Obschon es ganz ruhig war, spürten wir die eigentümliche Stille des Olivenhains. Der leichte Wind vermochte die knorrigen Äste der uralten Bäume nicht zu bewegen, nur die Blätter zitterten leise. Wir stiegen bergan. Eine schwarze Ziege regte sich, und ihre Kette klirrte. Dann sahen wir die Zisterne und hörten das Geräusch tropfenden Wassers. Wir fanden den Weg und folgten ihm hinauf bis zum Gartentor. Von dort sahen wir das Haus. Sachte öffnete Lucia das Tor. Es ging schwer. Die Türangeln waren nicht geölt und quietschten, als wir uns durch den schmalen Spalt in den Garten schoben.
Außer einem Ziegelsteinpfad, der aufwärts führte, und hohen Sträuchern konnte ich nichts erkennen. Lucia ging voraus. Als wir uns dem Hause näherten, lichteten sich die Sträucher, und der Pfad endete in einer gepflasterten Terrasse, auf der ein massiger Holztisch stand. Das Schiebedach aus Latten ließ mich vermuten, daß die Bewohner hier im Sommer ihr Mittagessen einnahmen.
Nach ein paar Schritten standen wir unterhalb der Terrasse auf einem Gartenweg. Die Tür zum Abstellraum befand sich auf der rechten Seite.
Lucia wühlte in ihrer Handtasche. »Nur einen Augenblick«, sagte sie, » ich habe den Schlüssel hier.«
»Brauchst du Licht?« Ich hatte die Taschenlampe mitgebracht.
»Nein, ich habe ihn schon.«
Wir hatten Glück. Wir sprachen mit gedämpfter Stimme. Zwar nahmen wir an, daß die
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