Eine begehrenswerte Lady
er gegen den Squire hatte«, erwiderte sie in ungläubigem Tonfall.
» Oui – es war wirklich bemerkenswert«, sagte Luc mit argloser Miene. »Ich habe mich auch über das Geschick des Jungen gewundert.«
Mrs. Gilbert schüttelte den Kopf und lachte.
»Sie sind ein ausgezeichneter Lügner.«
Luc bemühte sich, bescheiden zu wirken, und Mrs. Gilbert musste schmunzeln.
»Nun gut, da Sie mir nicht verraten wollen, was wirklich geschehen ist, erzählen Sie mir von Mr. Ordways Nichten.« Nachdenklich fügte sie hinzu: »Seltsam, dass sie ausgerechnet jetzt zu Besuch kommen, obwohl es meines Wissens Jahre her ist, seit sie das letzte Mal hier waren. Und nun ist auch dieser Neffe aufgetaucht – gewissermaßen ihnen auf dem Fuße. Das ist interessant, oder nicht?«
»Meine liebe Madame, sicherlich erwarten Sie nicht, dass ich Klatsch über Höhergestellte verbreite?«, neckte Luc sie.
Mrs. Gilbert schnaubte.
»Ich bezweifle, dass Sie irgendwen als ›höhergestellt‹ betrachten.«
»Stimmt«, pflichtete Luc ihr bei. Er mochte Mrs. Gilbert gerne, aber er wollte nicht mit ihr über Silas’ Nichten reden, und wenn es sich um irgendjemand anders als Mrs. Gilbert gehandelt hätte, hätte er denjenigen mit seinem Blick zu Eis erstarrt. Doch weil er sie und ihre ganze Familie sehr gerne hatte, wollte er sie nicht kränken.
Mrs. Gilbert hatte bei den amerikanischen Joslyns eine besondere Stellung inne, und keiner von ihnen sah in ihr nur eine Gasthofbetreiberin. Ihre Beziehung zu den Townsends reichte lange zurück und war eng – sie war Emilys Amme gewesen, und Emily und Cornelia verband eine tiefe Zuneigung mit ihr. Das Schmuggelunternehmen hatte das Band zwischen den Frauen vertieft, und von dem Augenblick, in dem Barnaby im besten Gästezimmer der Krone aufgewacht war, nachdem er beinahe im Ärmelkanal ertrunken wäre, hatte er das Verhältnis zu Mrs. Gilbert gehegt und gepflegt. Sie wusste, überlegte Luc mit einem Lächeln, welche Leichen die Familie im Keller hatte. Aber das hieß nicht, dass er vorhatte, mit ihr über Gillian und Sophia zu tratschen. Über Stanley hingegen …
»Haben Sie irgendetwas über Stanley Ordways Besuch im Ram’s Head gehört?«, fragte Luc abrupt.
Mrs. Gilbert schüttelte den Kopf.
»Warum sind Sie daran so interessiert?«, wollte sie wissen.
Er zuckte die Achseln.
»Schlichte Neugier.«
Das nahm sie ihm nicht ab, aber da sie nicht mehr darüber wusste, wechselte sie das Thema und erkundigte sich nach Emily und Cornelia. Nach ein paar Minuten Unterhaltung stand sie vom Tisch auf. Bevor sie ging, schaute sie ihn an und sagte:
»Ich weiß nicht, warum Sie im Ram’s Head waren und mit Nolles gesprochen haben, aber ich möchte Sie warnen, in seiner Nähe vorsichtig aufzutreten.«
» Non , nicht auch noch Sie«, sagte Luc angewidert. »Diese Predigt, wie unvorsichtig ich war, habe ich schon von Barnaby und Lamb gehört.«
Sie beugte sich vor und blickte ihn ernst an.
»Luc, Nolles ist ein Mörder – niemand weiß das besser als ich. Er hasst Barnaby wegen der Ereignisse im Frühjahr, und glauben Sie bitte keinen Moment, dass er nur, weil er noch nichts gegen Sie unternommen hat, es auch nicht tun wird, wenn ihm danach ist. Denn das wird geschehen. Ich glaube nicht, dass er dreist genug ist, sich an Barnaby oder Emily zu vergreifen, aber Sie zu verletzen oder gar umzubringen würde ihm größte Freude bereiten, weil er genau weiß, wie sehr es Ihren Bruder treffen würde. Halten Sie sich von ihm fern.«
»Ich fürchte Nolles nicht, meine Liebe. Was soll ich Ihrer Meinung nach tun? Mich verstecken?«
Mit sorgenvoller Miene antwortete sie:
»Halten Sie sich einfach von ihm fern.«
Als Luc eine Weile später von dort wegritt, grübelte er darüber nach, was er erfahren hatte. Dass Townsend sich bei Nolles über die Verluste beklagt hatte, die er Freitagnacht hatte hinnehmen müssen, war nicht überraschend – ebenso wenig wie die Nachricht, dass Stanley und Canfield im Ram’s Head gewesen waren. Da er um ihre Neigung zum Trinken, zu Weibern und allen Arten von Glücksspiel wusste, wusste er auch, dass High Tower ihnen nicht die Aufregung und die Unterhaltung bieten konnte, die sie suchten. Seine Lippen zuckten. Die Krone war viel zu respektabel und gesittet, um zwei Herren zuzusagen, die sich für Männer von Welt hielten. Ja, dachte er, sie würden unter den rauen lauten Gästen, den liederlichen Spielern und verlotterten Säufern in Nolles’ Taverne gar nicht weiter
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