Eine begehrenswerte Lady
Herren der guten Gesellschaft zu einigem Verdruss geführt, als sie sich in Charles Dashwood verliebt hatte.
An diesem Abend hatte sie sich große Mühe mit ihrem Äußeren gegeben – um vor Charles’ Freunden nicht wie eine Vogelscheuche auszusehen, aber auch nicht minder, um nicht noch einen heftigen Streit auszulösen. Sie wusste, das Kleid betonte ihre schlanke Figur, und auch das Ergebnis der Bemühungen ihrer langjährigen Zofe Nan Burton war nicht zu vernachlässigen. Vorhin hatte Nan mit gespitzten Lippen die üppige dunkelbraune Haarpracht zu Löckchen frisiert, die das Gesicht ihrer Herrin höchst kleidsam umrahmten, und hatte einen Hauch Reispuder auf Stirn, Nase und Wangen verteilt sowie ein ganz klein wenig Rouge auf ihre Lippen aufgetragen.
Nachdem sie einen Schritt nach hinten gemacht hatte, um das Ergebnis ihrer Mühen zu bewundern, hatte Nan erklärt:
»Schade, dass Schönheitspflästerchen so aus der Mode gekommen sind, weil nämlich ein winziges Pflästerchen in Ihrem Mundwinkel einfach perfekt wäre.« Sie steckte Gillian eine verirrte Strähne über dem Ohr fest und fügte hinzu: »Aber ich bin froh, dass das Pudern der Haare nicht mehr üblich ist – bis auf ein paar eingefleischte Anhänger.« Mit einem Lächeln voller Zuneigung für ihre Herrin verkündete Nan: »Ich muss sagen, Madame, dass ich Sie schon lange nicht mehr so schön gesehen habe.«
Gillian war von dem Frisiertisch aufgestanden, hatte die Röcke ihres bernsteinfarbenen Seidenkleides ausgeschüttelt und sich lächelnd erkundigt:
»Soll das heißen, dass ich sonst eher hausbacken herumlaufe?«
Nan hatte gelacht und den Kopf geschüttelt.
»Als ob das möglich wäre! Selbst in Lumpen gekleidet würden Sie jedem Mann, der nicht Eiswasser in seinen Adern hat, den Kopf verdrehen. Jetzt aber los, es ist Zeit, sich zu den anderen Gästen zu gesellen und einen schönen Abend zu verleben.«
Nans Bemerkung, die sie aufheitern sollte, erinnerte Gillian nur daran, dass sie in der Tat mit einem Mann verheiratet war, der Eiswasser in seinen Adern hatte, aber sie schob den Gedanken rasch beiseite. Winthrops entschlossenes Flirten und seine aufdringlichen Komplimente hätten ihr das Gefühl geben sollen, attraktiv zu sein, aber sie bewirkten nur das Gegenteil. Sie seufzte und wünschte sich, zu Hause zu sein, mit Sophia im Salon zu sitzen und in Ruhe ein Buch zu lesen.
Winthrop, der ihr Seufzen gehört hatte, sagte:
»Mir scheint, dass mein vielgelobter Charme keinerlei Wirkung auf Sie zeigt. Verraten Sie mir, meine reizende Dame, liegt das an mir, oder sind es Männer im Allgemeinen?«
Gillian wurde rot. Sie zwang sich zu einem Lächeln, blickte ihren Begleiter an und murmelte:
»Entschuldigen Sie, Mylord. Ich fürchte, ich bin solch extravagante Komplimente nicht gewohnt.«
»Oh nein«, erwiderte er. »Werden Sie nicht ganz steif und förmlich mir gegenüber. Mir war die schüchterne Rose viel lieber.« Sein Blick glitt liebkosend über ihr Gesicht. »Ich frage mich nur, ob Sie auch am Morgen so reizend schüchtern sind.«
Sie blickte ihn scharf an, aber er lächelte nur und wandte sich offenkundig gelangweilt von ihr ab und der jungen Frau zu, die auf der anderen Seite neben ihm saß. Dankbar, dass Winthrops Aufmerksamkeit anderweitig gebunden war, beendete sie die Mahlzeit ohne weiteres Unbehagen.
Während es immer später wurde, zogen sich einige der Herren, unter ihnen auch Charles, Welbourne, Padgett, Canfield und Winthrop, in die unteren Regionen des Hauses zurück zum Trinken und Glücksspiel und überließen die übrigen Gäste sich selbst. Unter Fremden in dem in Gold- und Cremetönen gehaltenen Salon allein gelassen, in dem sich zunächst alle nach dem Dinner versammelt hatten, gab sich Gillian Mühe, sich zu unterhalten, aber die Damen waren viel mehr an den Herren interessiert als daran, mit ihr zu reden, und die Herren … Nachdem sie den dritten Versuch eines betrunkenen Viscounts abgewehrt hatte, sie zu küssen, floh Gillian.
Sie betrat ihr Schlafzimmer, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und atmete zum ersten Mal auf, seit sie an diesem Abend die Treppe hinuntergestiegen war. Sie war vielleicht ein wenig naiv und hatte sich seit Jahren nicht mehr in der guten Gesellschaft bewegt, aber man musste schon auf den Kopf gefallen sein, um nicht zu begreifen, dass dies hier eine Landpartie war, an der eine anständige Frau nicht teilgenommen hätte. Was hatte sich Charles nur dabei gedacht, sie mit hierher zu
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