Eine betoerende Schoenheit
gegenüber irgendwelche Andeutungen zu machen.
Helenas Miene versteinerte. „Ich hoffe es. Sie ist eine erwachsene Frau, die von ihrer Freiheit zu wenig Gebrauch gemacht hat.“
Bist du also eine erwachsene Frau, die zu viel Gebrauch von ihrer Freiheit gemacht hat?
Aber was wusste Millie schon von Liebe, die leidenschaftlich erwidert wurde, Liebe, deren Sehnsucht durch Raum und Zeit hindurch brannte, sie, die für immer diejenige war, die eine solche Liebe zerstört hatte?
Sie war allerdings sicher, dass Fitz niemals eine unverheiratete Frau kompromittiert hätte, wie Mr Martin es getan hatte. Helena galoppierte ungebremst auf einen Abgrund zu, aus dem sie keiner von ihnen mehr retten konnte, wenn sie erst mal hineingestürzt war.
Sie wollte nicht, dass Helena etwas zustieß. Sie und Venetia hatten Millie von Anfang an akzeptiert und waren immer freundlich zu ihr gewesen, vor allem zu einer Zeit, in der Fitz sich kaum dazu durchringen konnte, ein Wort mit ihr zu wechseln. Sie wollte, dass Helena glücklich war, und wenn das nicht ging, sollte sie wenigstens vor Ruin und Ausgrenzung bewahrt werden.
Sie nahm Helenas Arm. „Wenn du dich nicht auf deinen Artikel konzentrieren kannst, was hältst du dann von einem langen, erfrischenden Spaziergang über Deck?“
KAPITEL 9
***
Der Westhimmel erstrahlte in goldenem Glanz. Der Horizont war wie in gleißenden Feuerschein getaucht. Die letzten Sonnenstrahlen verliehen den weiten ausgedehnten Federwolken die goldene Farbe von erlesenem Calvados.
Christian hatte nie zuvor einen wundervolleren Sonnenuntergang gesehen. Die Baronin war leider nicht in der Nähe und konnte so seine Aussicht auf das gleißende Schauspiel nicht teilen – stattdessen war sie in ihrer Kabine, um sich frisch zu machen.
Es war ihr sechster Tag auf See. Das Schiff sollte am nächsten Morgen Queenstown erreichen und am Morgen danach Southampton. Aus diesem Grund hatte er keine Mühen gescheut, sie davon zu überzeugen, am Kapitänsdinner teilzunehmen. Sie hatte ihn für verrückt erklärt, er aber war beharrlich geblieben. Er wollte ihr zeigen, dass sie sich durchaus gemeinsam in der Öffentlichkeit zeigen konnten, ohne dass sie ihren Schleier lüften müsste. Dass sich die übrige Gesellschaft seinem Wunsch beugen und sie akzeptieren würde, wie sie war.
Er würde alle Hindernisse aus dem Weg räumen, ihn ihr ebnen und ihn mit den seltensten Versteinerungen pflastern, nur damit sie den Platz in seinem Leben einnahm, der einzig und allein ihr gehörte.
Venetia hatte begonnen, über mögliche Strategien nachzudenken.
Vielleicht würde die Baronin in einem Brief erwähnen, ihre Freundin Mrs Easterbrook lebe in London. Möglicherweise würde Venetia, wenn sie Christian irgendwann in der Londoner Saison traf, anmerken, dass ihre entzückende Busenfreundin Baronin von Seidlitz-Hardenberg erwähnt hatte, dass auch sie vor Kurzem auf der Rhodesia gereist war, und vielleicht sollte sie vor allem dafür sorgen, engere Bekanntschaft mit Christians Stiefmutter zu schließen – und zwar so, dass letztere gerne dazu bereit wäre, für Venetias Charakter zu bürgen.
Dies war der Grund, warum vernünftige Menschen es vermieden, ein Doppelleben zu führen, dachte sie, als sie sich voller Reue ihre langen Handschuhe überstreifte: Es gab einfach keinen eleganten Weg, eine einmal entzwei gerissene Existenz wieder in eine einzige, unkomplizierte zurückzuverwandeln.
Miss Arnaud hatte die glitzernden Pailletten von einem anderen Abendkleid entfernt und den Schleier damit zu einem Accessoire gemacht, das zwar noch immer sehr sonderbar wirkte, nun allerdings einen gewissen Glanz versprühte. Venetia trat einen Schritt vom Spiegel weg und drehte sich um die eigene Achse. Ihre Anwesenheit sollte seinem Ansehen Glanz verleihen, ihm keinesfalls schaden. Das kobaltblaue Abendkleid war sicher überaus elegant – und es hätte zu ihrer Augenfarbe gepasst, wenn man diese denn hätte sehen können …
Sie schüttelte den Kopf. Es führte kein Weg an diesem Verstoß gegen die guten Sitten vorbei, sie konnte nur seinem Beispiel folgen und hoffen, den übrigen Gästen in angenehmer Erinnerung zu bleiben.
Er wartete am Absatz der Treppe, die hinab in den Speisesaal führte, auf sie und sah in seinem Abendanzug unglaublich attraktiv aus.
„Du bist die schönste Frau des Abends, Liebling“, sagte er, als er ihr den Arm hinhielt.
Jedes Mal, wenn er dieses Kosewort benutzte, tat ihr Herz einen kleinen Satz.
„Das
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