Eine betoerende Schoenheit
sich ihre Hände aneinanderklammerten, deutete jedoch auf mehr hin als bloße Enttäuschung.
Sie hatte Angst.
„Bitte sag etwas.“
Sie legte den Kopf in den Nacken, als hoffe sie auf Hilfe vom Himmel.
„Miss Vanderwoude war bereit, Zeit und Geld zu opfern, um in den Privatangelegenheiten einer Frau herumzuschnüffeln, die sie noch nie getroffen hat und nur vom Hörensagen kennt. Ich frage mich, was du erzählt haben musst, um zu derart ungehörigem Benehmen zu ermutigen.“
Ihre niedergeschlagenen Worte bohrten sich wie Nägel in sein Herz.
„Es tut mir leid. Ich hätte das nicht tun dürfen.“
„In der Tat. Wegen deiner Bemerkungen wird nun jemand als unzweifelhaft schlecht hingestellt.“
Er setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. „Ich habe es nicht aus Gemeinheit getan, wenn es das ist, was dich betrübt. Ich habe diese Anekdote weniger aus dem Grund erzählt, dass ich meinem Publikum ein objektives Beispiel präsentieren wollte, vielmehr diente sie mir selbst als Mahnung.“
„Das verstehe ich nicht.“
Er würde es ihr erklären müssen, sich so weit öffnen, wie er es noch nie getan hatte. Die Erniedrigung war ihm aber fast egal. Das Einzige, was zählte, war, dass sie sich nicht von ihm abwandte.
„Die Frau, die ich in Harvard als Beispiel anführte – sie ist mein Anderswo.“
Sie entriss ihm ihre Hand. Ehe sie aufspringen konnte, hielt er sie am Arm fest. „Bitte hör mir zu.“
„Mein Gott“, sagte sie. Ihre Augen sahen überall hin, nur nicht zu ihm. „Mein Gott.“
Wenn er sich nur das Herz hätte herausreißen können, um es ihr zu zeigen. Ihm standen aber nur Worte zur Verfügung, schwerfällige, umständliche, nutzlose Worte. „Besagte Frau ist bezaubernd schön. Ich war ein Jahrzehnt lang völlig von ihrem Liebreiz gefesselt. Ich habe einen Artikel über die evolutionäre Bedeutung der Schönheit geschrieben, um mir klar vor Augen zu führen, dass ich, der diese Theorie so gut verstand, der magischen Anziehungskraft der Schönheit dieser einen bestimmten Frau nichtsdestotrotz rettungslos erlegen war.“
Ihr Schleier hob und senkte sich unter ihrem hastigen Atem. „Das hat nicht gereicht, der Artikel? Du musstest der Öffentlichkeit davon berichten?“
„Meine Besessenheit raubte mir den Verstand. Ich musste mich von Orten fernhalten, die sie besuchte. Wenn ich sie sah, wurde es völlig bedeutungslos, ob sie ihren Mann nun schneller ins Grab gebracht hatte oder nicht. Ich hätte sie sofort geheiratet, nur um sie zu besitzen.“
In ihrem Schoß zitterten ihre gefalteten Hände deutlich. Auch er zitterte – allerdings innerlich. In ihm drohten Angst und Bedauern die Hoffnung zu ersticken, die so unbekümmert wie die um die Rhodesia springenden Delfine in ihm erwacht war.
„Ich habe mich lange für diese Besessenheit geschämt, aber sie haftete an mir wie ein Blutegel. Dieses Mal werde ich mich zudem nicht von ihr fernhalten können – sie ist eine feste Größe der Londoner Saison. Ich machte mir Sorgen, dass ich vielleicht schwach werden und mich ihr nähern würde, allem Anstand und Stolz zum Trotz.“ Der Traum, der gottverdammte Traum. „Es lag nie in meiner Absicht, sie so abzuurteilen, bitte glaub mir das.“
Sie riss sich los, erhob sich und trat ein paar Schritte zur Seite.
Venetia fühlte sich wie in Stücke gerissen, so als seien all die Dynamitstangen, mit dem sie jongliert hatte, auf einmal losgegangen.
Sie hatte nicht zufällig als Beispiel gedient, er hatte sie nicht wahllos aus seinem Erfahrungsschatz gepickt, um eines seiner Argumente zu veranschaulichen. Stattdessen war sie sein Untergang, seine Nemesis.
Sie konnte es nicht fassen. Beim bloßen Gedanken daran blieb ihr der Mund offen stehen, als erblickte sie ein Seeungeheuer mit Tentakeln, das die Rhodesia zum Sinken auf den Meeresgrund ziehen wollte.
Er hatte gesagt, er sei neunzehn gewesen. Sie war demzufolge ebenfalls neunzehn gewesen – also noch verheiratet. Ihre anfänglichen romantischen Illusionen waren allerdings bereits am massiven Felsen Tonys unzerstörbarer Selbstliebe zerschellt.
Ein Spieler aus Harrow konnte nicht aufhören, dich anzustarren. Wenn ihm jemand Besteck gereicht hätte, er hätte dich ohne Zögern verschlungen.
Er war dieser Spieler aus Harrow gewesen. Von ihr war er so leidvoll besessen gewesen, und sie war gleichzeitig seine Erlösung – von ihr selbst.
Panik tobte mit der Macht eines Orkans in ihr.
Bis zu diesem Augenblick war es denkbar und möglich
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