Eine bezaubernde Braut
schluchzte sie.
Und plötzlich war ihre Schwester nicht länger eine Fremde, und sie umarmten einander und weinten um das, was sie verloren hatten. »Ich habe niemals vergessen«, flüsterte Christen. »Ich habe nie meine kleine Schwester vergessen. Kannst du mir verzeihen?«, fragte sie und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. »So viele Jahre lang habe ich mit einem erdrückenden Schuldgefühl gelebt. Ich wusste, dass es meine Schuld war, doch ich konnte nicht …«
»Du hast gar keinen Grund, dich schuldig zu fühlen«, versicherte ihr Gillian. »Nichts davon war deine Schuld.«
»Aber ich bin entkommen, und du warst gefangen.«
»Oh, Christen, du kannst dir doch deswegen keinen Vorwurf machen Du warst nur ein kleines, hilfloses Mädchen. Du konntest an dem, was geschehen ist, nichts ändern.«
»Ich erinnere mich an diese Nacht, als sei es erst gestern gewesen. Gott allein weiß, wie sehr ich versucht habe, sie zu vergessen. Ich erinnere mich daran, dass unser Vater uns zum Abschied geküsst hat. Er roch nach Leder und nach Seife. Seine Hände waren rau vor Schwielen, doch ich erinnere mich daran, dass ich es mochte, wenn er mein Gesicht streichelte.«
»Ich habe nicht mehr viele Erinnerungen an unseren Vater.«
»Es ist komisch. Ich erinnere mich nicht mehr an die Farbe seiner Augen oder seines Haares, aber ich erinnere mich an seinen Duft und seine Berührungen.«
»Du erinnerst dich auch sicher noch an Liese, nicht wahr?«
»Ja, das tue ich«, antwortete Christen und lächelte.
»Sie hat meine Erinnerung an dich wach gehalten. Sie hat mir erzählt, dass die Soldaten dich das Goldene Mädchen nannten.«
Christen lachte. »Das haben sie getan, und mein Haar war damals wirklich golden. Es ist mit den Jahren immer dunkler geworden.«
»Christen, erzähl mir, was in dieser Nacht geschehen ist.«
»Die Soldaten sollten uns wegbringen, weil es im Schloss nicht mehr sicher war. Einer der Feinde unseres Vaters hatte ihn angegriffen.«
»Baron Alford und seine Truppen«, nickte Gillian.
»Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich Angst hatte. Vater gab mir ein Geschenk, und du warst wütend, weil er kein Geschenk für dich hatte.«
»Die mit Juwelen besetzte Schatulle«, flüsterte Gillian. »Er gab dir den Schatz des Königs. Die Soldaten haben Liese erzählt, dass deine Wachen dir dabei helfen sollten, sie in Sicherheit zu bringen, bis der Kampf vorüber war und Vater dich wieder holen konnte. Hast du sie irgendwo versteckt, Christen?«
»Nein«, antwortete ihre Schwester. »Und ich weiß auch nicht, was damit geschehen ist.«
Gillians Enttäuschung war schmerzlich. »Ich … hatte … gehofft …«
Ein plötzlicher Windstoß ließ die Blätter unter ihren Füßen auffliegen. Es war warm und sonnig, doch Christen rieb sich plötzlich die Arme, als wolle sie die Kälte vertreiben, die mit der Erinnerung gekommen war.
»Es tut mir Leid«, flüsterte sie. »Ich weiß nicht, wo der Schatz ist.«
Gillian sagte lange kein Wort, denn sie kämpfte gegen Verzweiflung und Panik an. Wie konnte sie jetzt ihren Onkel noch retten? Ohne die Schatulle und ohne ihre Schwester war er verloren.
»Vater ist in dieser Nacht gestorben, nicht wahr?«
»Ja«, flüsterte Gillian.
»Warst du dabei?«
Sie musste sich zwingen, sich auf das zu konzentrieren, was ihre Schwester sagte. »Ja, ich war dabei, aber meine Erinnerungen an diese Nacht sind so verschwommen.«
»Vater hatte die Schatulle in ein Tuch gewickelt.«
»Wer war noch in dem Zimmer bei uns?«
»Es waren vier Soldaten und Vater«, antwortete Christen. »Tom und Lawrence sollten mit mir gehen, aber ich erinnere mich nicht an die Namen der Männer, die dich in Sicherheit bringen sollten.«
»Liese hat mir ihre Namen genannt. Es waren William und Spencer, und sie sind bei dem Versuch, mich zu beschützen, gestorben. Ich bete an jedem Abend für ihre Seelen.«
»Ich weiß nicht, was aus Lawrence und Tom geworden ist. Ich bin einem der Verwandten Toms übergeben worden, und man hat mir gesagt, dass Vater mich holen kommen würde. Sowohl er als auch Lawrence haben mich verlassen, und ich kann nur annehmen, dass sie zu Vater zurückgekehrt sind. Ich habe sie nie wieder gesehen.«
»Hattest du die Schatulle damals bei dir?«
»Nein, das hatte ich nicht.«
»Aber was ist dann damit geschehen?«, fragte Gillian und rang verzweifelt die Hände. Sie holte tief Luft und zwang sich, Ruhe zu bewahren. »Erzähl mir ganz genau, was
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