Eine bezaubernde Erbin
besonders hilfreich. Lord Fitzhugh hatte keine Aufgaben zu erledigen, keine Verpflichtungen, die von ihm verlangten, einem geordneten Tagesablauf zu folgen, und keine Freunde oder Familienmitglieder, vor denen er sich nüchtern und normal geben musste.
In seinem Zimmer war nichts mehr übrig, was er zerschlagen konnte. Nachdem er in der vergangenen Woche sein Bett zu Kleinholz verarbeitet hatte, schlief er nun auf einer Strohmatratze am Boden. Millie hatte Angst, dass er jetzt im Salon weitermachen würde. Stattdessen verfiel er in eine tiefe Lethargie. Der Whisky, der ihn zunächst nur nachts begleitete, war jetzt sein steter Gefährte.
Millie war in diesen dunklen Seiten des Lebens unerfahren. Aber sie zweifelte nicht daran, dass er auf einem gefährlichen Weg war. Er benötigte dringend Hilfe – und bald. Aber wenn sie sich hinsetzte, um einen Hilferuf zu verfassen, wusste sie nicht, an wen sie den Brief richten sollte.
Konnte Mrs Townsend ihren Bruder dazu überreden, mit dem Trinken aufzuhören? Konnte es Colonel Clements? Aus der Familie Graves war mit Sicherheit niemand von Nutzen. Und selbst wenn Millie den Rest ihres Stolzes hinunterschluckte und Miss Pelham um Hilfe anflehte, würde Miss Pelhams Familie ihr gestatten, sich wieder mit dem Earl einzulassen?
Mrs Graves Ratschläge hatten Millie helfen sollen, mit einem distanzierten Ehemann, herablassenden Bediensteten und einer Gesellschaft zurechtzukommen, die argwöhnisch auf eine weitere Erbin reagierte, die sich zu viel anmaßte. Niemand hatte hingegen daran gedacht, ihr zu sagen, was sie tun sollte, wenn ihr Ehemann entschlossen war, seine Jugend und Vitalität in den Hals einer Whiskyflasche zu stopfen und alles wegzuwerfen.
Sie ließ den Brief liegen und nahm ihren Hut. Die dichten Wolken, die den Himmel bedeckten, verhießen Regen, aber das kümmerte sie nicht. Sie musste aus der Hütte heraus. Und wenn sie klitschnass zurückkehrte, sich eine Lungenentzündung holte und noch vor Monatsende das Zeitliche segnete, nun, umso besser für… Sie hielt inne.
Ihr Ehemann, der seit Tagen nicht draußen gewesen war, saß auf den Stufen vor der Hütte und starrte in den Lauf eines Gewehrs.
„Was … was tun Sie da?“ hörte sie sich selbst mit hoher, dünner Stimme fragen.
„Nichts“, sagte er, ohne sich umzusehen, während seine Hand zärtlich über den Lauf strich.
Langsam, ohne ein Geräusch zu machen, zog sie sich in die Hütte zurück. Und dort griff sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben ans Herz. In ihrer Kehle steckte ein Kloß, in ihrem Kopf drehte sich alles.
Er dachte an Selbstmord.
Fitz hatte jegliches Zeitgefühl verloren, und es kümmerte ihn nicht im Mindesten. Die Vergangenheit war unendlich viel besser als die Gegenwart oder die Zukunft. Und noch besser war es, wenn die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fantasie verschwammen.
Er war nicht länger auch nur in der Nähe des Lake Districts, sondern im Haus der Pelhams und steckte inmitten einer angeregten Unterhaltung mit Isabelle, während ihre Mutter am anderen Ende des Raumes stickte.
Sie war so interessant, seine Isabelle, und so interessiert an allem. Ihre Augen leuchteten wie Sterne, aber ihre Schönheit war so einnehmend wie der Morgen, strahlend hell, voller Glut und Elan. Und wenn er sie ansah, wurde ihm vor Glück ganz leicht ums Herz, und es war so schwerelos, dass es wie ein Ballon in den Himmel stieg.
„Ich muss mit Ihren reden, Lord Fitzhugh“, sagte sie.
Lord Fitzhugh? Lord Fitzhugh war sein Großneffe vierten Grades.
„Worüber?“
„Sie können so nicht weiter machen.“
„Warum nicht?“ Er war verwirrt. Genauso, wie er jetzt war, wollte er bleiben, ein unbekümmerter junger Mann, der das Mädchen, das er liebte, an seiner Seite hatte.
„Wenn Sie nicht an sich selbst denken wollen, dann denken Sie bitte an Ihre Familie. Ihre Schwestern werden am Boden zerstört sein.“
Er öffnete die Augen. Seltsam, hatte er eine Unterhaltung mit geschlossenen Augen geführt? Und seit wann war der Raum so dunkel, so voller Schatten und Düsternis?
Er lag auf dem Rücken. Und sie stand über ihm, so nah, dass er nur die Hand ausstrecken musste. Er hob seinen Arm und berührte ihr Gesicht. Sie zuckte zusammen. Ihre Haut war zarter als die Erinnerung an Frühling. Sie hatte ihm so gefehlt. Sie war es. Sie war es immer gewesen.
Er zog sie ganz sanft zu sich herab, um sie nicht zu erschrecken, und küsste sie. Oh Gott, sie schmeckte so süß, wie Frühlingswasser
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