Eine bezaubernde Erbin
sie sich auf seine nebelgraue Weste und die kaum sichtbaren, fein gewebten Karos.
Jetzt waren sie Mann und Frau und würden es bis an das Ende ihrer Tage bleiben.
Die Gemeinde erhob sich, als sie zur Kirchentür gingen. Kein Freund des Bräutigams reichte ihm die Hand und beglückwünschte ihn. Niemand lächelte das frischvermählte Paar an. Einige Damen hatten die Köpfe zusammengesteckt und tuschelten miteinander.
Plötzlich sah Millie sie, Miss Isabelle Pelham, bleich, geschlagen und doch beinahe majestätisch in ihrem Stolz und ihrem Schweigen. Unendlich langsam und für alle deutlich sichtbar lief ihr eine Träne über die Wange.
Millie war entsetzt. Eine solche Zurschaustellung von Gefühlen war ihr fremd – sie empfand es als beinahe schamlos.
Sie konnte sich selbst nicht davon abhalten: Sie blickte zu Lord Fitzhugh. Er vergoss keine Tränen. Aber in allem anderen – dem aschfahlen Gesicht, dem düsteren Blick, der Verzweiflung eines Soldaten, der den Krieg verloren hatte – glichen er und Miss Pelham einander, und ihre Schönheit wurde durch ihren Kummer nur noch verstärkt.
Es war bedeutungslos, dass Millie in der Angelegenheit kein Mitspracherecht hatte. Es war bedeutungslos, dass die Krallen des Teufels sich in ihr Herz schlugen. Sie las das Urteil in den Gesichtern der Gäste: Sie war hier der Eindringling. Die Graves mit ihrem vulgären Vermögen und ihrem vulgäreren Ehrgeiz hatten ein perfektes, einander ergebenes Liebespaar auseinandergerissen und alle Aussichten für sie, jemals glücklich zu werden, zerstört.
Sie brauchte zu ihrem Elend nicht auch noch Schuldgefühle. Aber Schuldgefühle gruben sich tief in ihre Seele.
Mrs Graves half Millie beim Umkleiden, hob ihr das bleierne Hochzeitskleid über den Kopf und legte es beiseite. Millie fühlte sich nicht leichter; die Schwere in ihrem Herzen ließ sich nicht vertreiben.
Ihr Körper bewegte sich gehorsam, sie steckte die Arme durch die Ärmel einer weißen Bluse, trat in einen marineblauen Rock aus Kammgarn. Mrs Graves hielt ihr die passende Jacke hin, und sie zog sich diese ebenfalls an.
„Du solltest dir einen Garten anlegen, Liebes“, sagte ihre Mutter, als sie den Reif aus Orangenblüten aus Millies Haar löste. „Einen Garten mit einer Bank.“
Wozu? Ein hübscher Ort, an dem sie die Schmach ihrer Hochzeit noch einmal durchleben konnte? Das Hochzeitsbankett, das sich durch Miss Pelhams Abwesenheit ausgezeichnet hatte, war nicht viel besser gewesen. Und jetzt war sie wieder auf dem Anwesen der Graves, statt sich in ihrem neuen Zuhause die Reisekleidung anzuziehen, weil ihr Ehemann behauptet hatte, das Stadthaus sei zu baufällig, um einer kultivierten jungen Dame wie ihr als Obdach zu dienen.
„Mit einem Garten ist alles besser“, erklärte Mrs Graves sanft. „Du wirst etwas zu tun haben, wenn du es brauchst. Du wirst viel glücklicher sein, wenn du einen Garten hast, Millie.“
Sie hielt den Kopf gesenkt. Würde ein Garten sie vergessen lassen, dass ihr Ehemann eine andere liebte? Oder dass sie sich in den einen Mann verliebt hatte, der sie nie zurücklieben würde?
Mrs Graves hatte sich für Flitterwochen in Rom ausgesprochen, aber Lord Fitzhugh hatte beim Abendessen anlässlich ihrer Verlobung, das seine Schwester veranstaltet hatte, gefragt: „Sind die Sumpfgebiete bei Rom im Sommer nicht malariaverseucht?“ Daher hatten sie sich stattdessen für den Lake District entschieden, wo Malaria nie ein Risiko war.
Millie traf ihren neuen Ehemann am Bahnhof. Er war schweigsam, teilnahmslos, aber unfehlbar zuvorkommend. Nach einer letzten Umarmung ihrer Mutter wurde sie in die Obhut dieses Jungen übergeben, der selbst erst noch erwachsen werden musste.
Die Zugfahrt dauerte fast den gesamten Tag. Millie hatte zwei Bücher zum Lesen mitgebracht. Der Earl starrte aus dem Fenster. Geflissentlich blätterte sie alle drei Minuten um, aber sie hätte am Ende nicht sagen können, ob sie eine Chronik zu den Napoleonischen Kriegen oder ein Handbuch zur Haushaltsführung gelesen hatte.
Spät am Abend erreichten sie ihr Ziel.
„Lady Fitzhugh wird ihr Abendessen in ihrem Zimmer zu sich nehmen“, erklärte Lord Fitzhugh dem Gastwirt.
Millie hätte tatsächlich darum gebeten: ein kleines Mahl in absoluter Ungestörtheit. Aber sie spürte, dass er nicht aus Rücksicht auf ihre Erschöpfung darum gebeten hatte, sondern damit sie ihm nicht im Weg war.
„Und Sie, Mylord?“, fragte der Gastwirt.
„Dasselbe … und eine Flasche
Weitere Kostenlose Bücher