Eine bezaubernde Erbin
Ihres besten Whiskys.“
Sie blickte auf. War seine Totenblässe das Ergebnis einer durchzechten Nacht? Er starrte zurück, und sie senkte hastig ihren Blick.
Sie rührte ihr Essen kaum an. Sie klingelte und ließ das Tablett wegbringen, ehe sie sich umzog. Sie hatte ihrer Zofe für die Zeit ihres Aufenthaltes im Lake District frei gegeben, damit die Wahrheit ihrer „Flitterwochen“ nicht herauskam.
Im Nachthemd setzte sie sich an den Waschtisch und bürstete sich das Haar. Ihr Gesicht blickte sie aus dem Spiegel unglücklich an. Sie war nicht unansehnlich: Mit dem richtigen Kleid und der richtigen Frisur konnte sie durchaus als hübsch gelten. Aber es war eine schlichte Art von hübsch, die sich nicht einprägte. Einige der Bekannten ihrer Mutter vergaßen ständig, dass sie sie schon kennengelernt hatten, selbst in ihrer eigenen Familie verwechselten ihre älteren Tanten sie gerne mal mit einer ihrer vielen Cousinen.
Auch besaß sie keine energischen Charakterzüge, welche ihre ansonsten recht unscheinbaren Merkmale beleben und unwiderstehlich machen würden. Nein, sie war ein stilles, vernünftiges und verschlossenes Mädchen, das eher sterben würde, als in aller Öffentlichkeit Tränen zu vergießen. Wie konnte sie es je mit Miss Pelhams unwiderstehlichem Feuer aufnehmen?
Sie löschte das Licht in ihrem Zimmer. Mit der Dunkelheit legte sich eine tiefe Stille über den Raum. Sie lauschte nach Geräuschen aus Lord Fitzhughs Zimmer, konnte aber nichts hören, keine Schritte, kein knarrendes Bett und auch keine über die Tischplatte rutschende Whiskyflasche.
Durch ihr Fenster konnte sie den Garten sehen, Beete und Büsche in den Schatten der Nacht. Ein Streichholz leuchtete auf und erhellte einen Mann, der an der Sonnenuhr lehnte: Lord Fitzhugh. Er zündete eine Zigarette an und warf das Streichholz weg. Sie bemerkte erst, als der Mond einige Minuten später hinter den Wolken hervorkam, dass er nicht rauchte, sondern die Zigarette nur lose zwischen Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand hielt.
Als die Zigarette zu Asche verbrannt war, entzündete er eine neue.
Und auch die brannte ungenutzt ab.
Sie lag lange wach. Als sie schließlich in einen unruhigen Schlummer fiel, schien es ihr, als hätte sie nur eine Minute lang geschlafen, ehe sie im Bett hochfuhr. Eine unheimliche Stille begrüßte sie, aber sie hätte schwören können, dass sie von einem lauten Krachen geweckt worden war.
Es ertönte erneut, ein schrecklicher Lärm, als Glas auf Glas traf.
Sie kletterte aus dem Bett, zog ihren Morgenmantel über und riss die Verbindungstür auf. Im schwachen Licht sah sie, das Porzellanscherben und Essensreste auf dem Boden verteilt lagen – das Abendessen des Earls. Der Wandspiegel hatte hässliche Risse, als hätte Medusa hineingesehen. Eine Whiskyflasche lag in Scherben darunter.
Lord Fitzhugh stand inmitten der Trümmer mit dem Rücken zu ihr und noch immer in seiner Reisekleidung.
„Geh zurück ins Bett“, befahl er ihr, ehe sie etwas sagen konnte.
Sie biss sich auf die Lippen und kehrte in ihr Zimmer zurück.
Am Morgen war die Verbindungstür verschlossen. Sie versuchte es vom Gang aus an seiner Tür, doch auch diese war verschlossen. Sie stocherte in ihrem Frühstück herum und verbrachte unruhige zwei Stunden im Garten, wo sie so tat, als würde sie lesen.
Schließlich öffnete sich sein Fenster. Sie konnte ihn nicht sehen. Wenige Minuten später schloss es sich wieder.
Zu ihrer Überraschung erschien er, als sie etwa die Hälfte ihres Mittagessens verzehrt hatte.
Er sah schrecklich aus, zerzaust und unrasiert. Sie stellte unglücklich fest, dass er zu ihrer Hochzeit zwar kränklich ausgesehen hatte, aber zumindest hatte er – oder sehr wahrscheinlich jemand anderes – sich die Mühe gemacht, ihn vorzeigbar aussehen zu lassen. Eine solche Mühe hatte er sich heute nicht gegeben.
„Mylord“, begrüßte sie ihn und wusste nicht, was sie dem hinzufügen sollte.
„Mylady“, sagte er mit ausdruckslosem Gesicht, als er sich ihr gegenüber setzte. „Sie müssen sich über den Zustand meines Zimmers keine Gedanken machen. Ich habe es bereits mit dem Gastwirt besprochen.“
„Verstehe.“
Sie war froh, dass er die Verantwortung dafür übernahm. Sie selbst hätte die Angelegenheit als zu demütigend empfunden. Was sagte man in so einer Situation? „Es tut mir schrecklich leid, aber ich glaube, mein Ehemann hat einen Teil Ihres Besitzes zerstört?“
„Ich habe ebenfalls
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