Eine bezaubernde Erbin
träumen. Sie hatten noch genügend Zeit, später über die praktischen Folgen ihres neuen gemeinsamen Lebens nachzudenken.
„Ich hatte als Kind ein Welsh-Pony“, sagte er. „Ich hab es sehr gemocht.“
Helena lief in ihrem Büro auf und ab. Sie musste einen Weg finden, Andrew zu sehen. Aber Susie, ihre neue Zofe, klebte an ihr wie Fliegenpapier. Wenn Susie nur halbtags arbeitete, fand Millie genügend Anlässe, um Helenas Nachmittage zu füllen, sodass sie sich auch dann nicht einfach davonstehlen konnte.
Vielleicht wäre sie nicht so aufgewühlt, wenn sie wenigstens bei einigen der Gesellschaften, die sie besuchen musste, einen Blick auf Andrew hätte werfen können. Auf diese Weise, indem sie einander regelmäßig gesehen hatten, hatten sie über die Jahre ihre Freundschaft aufrechterhalten. Oder wenn er ihr wieder schreiben würde. Aber nichts dergleichen geschah.
An ihrer Tür klopfte es. „Miss Fitzhugh“, sagte ihre Sekretärin, „ein Bote für Sie.“
„Nehmen Sie die Lieferung entgegen.“
„Er besteht darauf, Ihnen das Paket persönlich zu übergeben.“
Autoren und ihre wertvollen Manuskripte. Helena öffnete die Tür und nahm das recht große Paket entgegen. „Wer ist der Absender?“
„Lord Hastings, Madam“, sagte der Bote.
Grundgütiger. So befriedigend es auch gewesen sein mochte, ihn von seinem hohen Ross zu stoßen, hatte sie ihm irgendwie die Erlaubnis erteilt, ihr etwas aus seiner zweifelsohne großen Schundsammlung zu schicken?
Sie kehrte an ihren Schreibtisch zurück und warf das Paket in eine Ecke. Aber fünf Minuten später öffnete sie es aus schierer Neugier doch. Und er wusste, wie er die Spannung aufrechterhielt: das Paket war wie eine russische Puppe, eine Schicht folgte der nächsten.
Eine äußere Hülle aus Stoff, ein Pappkarton, ein Wachstuch und schließlich ein großer Umschlag. Sie kippte den Inhalt des Umschlags auf ihren Schreibtisch: ein Papierstapel, der mit einer Schnur umwickelt war, und eine handschriftliche Notiz.
Liebe Miss Fitzhugh,
ich habe unsere reizende Unterhaltung letzte Nacht bei den Queensberrys sehr genossen. Ich bin dankbar für Ihr überwältigendes Interesse an meinem Roman – oder eher meinen Memoiren – über die sinnlichste Manifestation des menschlichen Seins.
Ergebenst Ihr Diener in allen Belangen, aber insbesondere in denen des Fleisches,
Hastings
Sie schnaubte. Degenerierte Menschen änderten sich nie.
Allerdings schadete Hastings‘ Degeneriertheit nicht nur ihm. Er hatte eine uneheliche Tochter, die mit ihm auf dem Land lebte. Seinetwegen trug das arme Kind bereits das Stigma der Illegitimität, wollte er sie jetzt noch weiter demütigen, indem er Autor pornographischer Schriften wurde?
Auf der ersten Seite des Manuskripts, die dem Brief folgte, stand der Titel: Die Braut von Larkspear , und Hastings‘ Pseudonym: ein indiskreter Gentleman. Zumindest da lag er richtig. Die Widmung auf der nächsten Seite lautete: „Den Vergnügungshungrigen der Welt, denn ihnen gehört das Erdreich.“
Die Unverschämtheit des Mannes kannte keine Grenzen.
Sie blätterte um.
Kapitel Eins
Ich werde mit der Beschreibung meines Bettes beginnen, denn der Schauplatz eines Buches muss vom ersten Satz an klar sein. Dieses Bett hat einen Stammbaum. Könige haben darin geschlafen, Edelmänner sind darin ihrem Tode entgegengeschritten, und zahllose Bräute haben hier endlich erfahren, warum ihre Mütter ihnen sagten: „Schließ die Augen und denk an England.“
Das Bettgestell besteht aus Eiche, schwer, stark, beinahe unzerstörbar. Säulen wachsen aus den vier Ecken, um den Rahmen zu stützen, an welchem im Winter schwere Vorhänge hängen. Aber es ist nicht Winter, die schweren Stoffe verbleiben in ihren Zedernholzkisten. Auf der Federmatratze liegen nur Laken aus französischem Leinen, so dekadent wie Baudelaires Verse.
Aber gutes französisches Leinen ist heutzutage leicht zu beschaffen. Und auch Betten mit Stammbaum sind letztlich doch nur Möbelstücke. Was dieses Bett von allen anderen unterscheidet, ist die daran gefesselte Frau. Ihre Handgelenke sind hinter ihr an einen der überaus robusten Bettpfosten gebunden.
Und da dies ein Werk des Eros ist, ist sie natürlich nackt.
Meine Braut sieht mich nicht an. Sie ist wie immer entschlossen, mich selbst in unserer Hochzeitsnacht an die äußersten Ränder ihrer Existenz zu verbannen.
Ich berühre sie. Ihre Haut ist so kühl wie Marmor, das Fleisch darunter fest und jung. Ich drehe
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