Eine bezaubernde Erbin
seinen Kummer zu überspielen – so wie sie.
Die Straße beschrieb eine Kurve. Vor ihnen erstreckte sich eine herrliche Aussicht: ein großer, ovaler See, so smaragdgrün wie die Gipfel, die ihn umgaben. An seinen Ufern blühten Sommerblumen, und ihre Spiegelbilder, weiß und malvenfarbenen, waren wie eine Kette aus Perlen. Am gegenüberliegenden Ufer lag ein hübsches Dörfchen mit efeuumrankten Häusern, in deren Blumenkästen vor den Fenstern noch Geranien und Alpenveilchen blühten.
„Nun“, sagte sie, „zumindest sind die Flitterwochen vorbei.“
„Ja.“ Er drehte sein Gesicht gen Himmel, als genösse er das Gefühl der Sonnenstrahlen auf seiner Haut. „Gott sei Dank.“
KAPITEL 6
1896
Fitz stand vor Isabelles Haus.
Am Tag zuvor hatte er vor ihrer Tür gezögert, weil er mit maßloser Hoffnung und einer ebenso starken Furcht vor Enttäuschung zu kämpfen hatte. Aber das war gestern gewesen, bevor sie einander eine gemeinsame Zukunft versprochen hatten, eine Zukunft, die sie einst für immer verloren geglaubt hatten. Heute hätte er ihr Haus leichten Fußes und ohne irgendwelche Unsicherheit betreten sollen.
Doch letzte Nacht hatte er die Sache mit Millie besprochen. Und sechzehn Stunden später war er noch immer von ihrer Panik, ihrem Erschrecken über seinen Vorschlag, beunruhigt. Sie hatte schließlich zugestimmt, aber das Gefühl der Ablehnung blieb, als ob all die Jahre gemeinsamer Zuneigung und Ziele nichts bedeuteten.
Er läutete und wurde eingelassen. In Isabelles sonnigem Salon umarmten sie einander lange, bevor sie sich setzten. Ihr ging es gut, den Kindern ebenfalls. Sie war mit ihnen an diesem Morgen ins Britische Museum gegangen. Alexander konnte sich an den Rüstungen gar nicht satt sehen. Hyacinth war von den Mumien fasziniert gewesen, ganz besonders von den Tiermumien – und plante bereits ihren alten Kater General für alle Zeiten zu erhalten, sobald er dereinst aus dem Leben schied.
„Ich kann mir gut vorstellen, wo sie ihren Hang zum Übermut her hat“, sagte Fitz.
Isabelle lachte glucksend. „Ich wage zu behaupten, dass sie mich noch weit übertreffen wird.“
Der Tee kam. Sie erhob sich und ging zu einem kleinen Schrank. „Tee ist ein so albernes Getränk für einen Mann. Kann ich dir etwas Stärkeres anbieten?“
Er hatte seit dem Lake District keinen Tropfen „Stärkeres“ angerührt. „Nein, danke. Tee genügt mir.“
Sie schien ein wenig enttäuscht. Es gab vieles, was sie über ihn nicht wusste – oder er über sie. Aber sie hatten noch genug Zeit, einander neu kennenzulernen.
Sie setzte sich wieder und goss ihnen Tee ein. „Gestern hattest du gesagt, dass du mit deiner Frau sprechen musst. Ist die Unterhaltung gut verlaufen?“
Wäre die Unterhaltung gut verlaufen, dann würde er sich innerlich nicht so leer fühlen. Aber er konnte auch nicht behaupten, dass sie schlecht verlaufen wäre, da er bekommen hatte, was er wollte.
„Gut genug“, sagte er und gab Isabelle eine stark gekürzte Zusammenfassung von dem, worauf er und Millie sich geeinigt hatten.
„Sechs Monate!“, rief Isabelle. „Ich dachte, das Gespräch mit deiner Frau wäre eine reine Formsache.“
„Es ist nie einfach, wenn man verheiratet ist.“ Zumindest hatte er gerade angefangen, das zu erkennen.
„Aber ihr seid seit fast acht Jahren verheiratet. Wenn sie in dieser ganzen Zeit noch kein Kind empfangen hat, wie sollen dann sechs weitere Monate helfen?“
Er hatte diese Frage erwartet. „Wir haben es nur selten versucht. Ich habe meine Bedürfnisse woanders gestillt, und Lady Fitzhugh war, soweit ich es sagen kann, zufrieden, in Ruhe gelassen zu werden.“
„Wie selten?“
„Wir haben während der Flitterwochen einige Nächte zusammen verbracht.“
Genau genommen war das nicht gelogen, aber er erweckte absichtlich den falschen Eindruck. Er wollte nicht, dass irgendjemand, und ganz besonders nicht Isabelle, glaubte, an seiner Ehe sei etwas ungewöhnlich oder unvollendet. Millie würde sich so schämen.
Es überraschte ihn, wie leicht es ihm fiel, sie in Gedanken Millie zu nennen. Vielleicht hatte er das schon seit einer Weile getan, ohne dass es ihm aufgefallen war.
Isabelles Reaktion war vielschichtig: Flüchtig zeigte sich Enttäuschung auf ihrem Gesicht, gefolgt von einem Anflug von Erleichterung. Wenn er nie mit seiner Frau das Bett geteilt hätte, wäre das ein großartiger Beweis seiner Treue zu ihr, aber es hätte auch bedeutet, dass er in dem Versuch, einen Erben
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