Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine bezaubernde Erbin

Eine bezaubernde Erbin

Titel: Eine bezaubernde Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Thomas
Vom Netzwerk:
das Haus, um spazieren zu gehen oder zu laufen – meistens, um zu laufen –, bis ihn die Erschöpfung übermannte.
    Als er sich die Mühe machte, darüber nachzudenken, erkannte er auch, dass es einen einfacheren Weg gab, seine Einsamkeit zu lindern: nackte Frauen. Er begann eine Affäre mit einer seiner neuen Nachbarinnen, eine Witwe, die fünf oder sechs Jahre älter war als er und froh darüber, wenn er sie besuchte.
    Es wurde Zeit für Alices Winterschlaf. Er hielt sie in einer gepolsterten Kiste mit Atemlöchern und sah zweimal am Tag nach ihr. Alles hatte sich verändert. Nur Alice war ein vertrauter Berührungspunkt mit dem Leben, das er einst gekannt hatte.
    Zwei Wochen nachdem sie in Henley Park angekommen waren, sandte ihm seine Frau eine Nachricht, dass sie ihn in der Bibliothek zu sprechen wünsche. Außer zum Abendessen sah er sie selten. Er wusste aber, dass sie sich tagsüber genau wie er mit dem Haus und dem Besitz beschäftigte.
    Die Bibliothek, ein düsterer und muffiger Raum, lag im Nordflügel, dem schlimmsten Teil des Hauses. Sie prüfte gerade Bücher auf Schäden. Er war überrascht, dass sie ein Tageskleid aus rostbrauner Seide anhatte. Seit Mr Townsends Tod hatte sie Trauerkleidung getragen und war wie ein stiller, ernster Geist am Rande seiner Wahrnehmung gewesen. Aber heute ließ die kräftige, herbstliche Farbe ihres Kleides sie zu dem am hellsten leuchtenden Punkt im ganzen Raum werden.
    „Guten Morgen“, sagte er.
    Sie drehte sich um. „Guten Morgen.“
    Einen Augenblick lang war er verblüfft, wie jung sie ohne die dunkle, eintönige Kleidung aussah. Wäre er ihr auf der Straße begegnet, hätte er sie für fünfzehn gehalten.
    Hatten die Graves ihm ein falsches Alter genannt? „Entschuldigen Sie bitte, aber wie alt sind Sie?“
    „Siebzehn.“
    „ Siebzehn ? Seit wann?“
    Sie senkte den Blick, als schämte sie sich. „Seit heute.“
    Jetzt schämte auch er sich. Er hatte es nicht gewusst. „Alles Gute.“
    „Danke.“
    Ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus. Er räusperte sich. „Ich habe kein Geschenk für Sie. Gibt es irgendetwas, was Sie gerne hätten – und was es im Dorf gibt?“
    Sie winkte ab. „Ein Geburtstag ist nur ein weiterer Tag. Ich denke, es ist schrecklich albern, dass die Leute so ein Trara darum machen. Außerdem haben Ihre Schwestern bereits Bücher und ein hübsches Kästchen mit neuen Taschentüchern geschickt.“
    „Wenn Venetia mit all ihren Sorgen sich daran erinnern kann, dann gibt es für mich keine Entschuldigung – außer, dass ich das Datum nicht wusste.“
    „Bitte, machen Sie sich keine Gedanken darum – es gibt ja noch nächstes Jahr. Macht es Ihnen etwas aus, mit mir ein paar Räume zu besichtigen?“
    Er hatte bereits alle Räume gesehen, aber da es ihr Geburtstag war … „Gerne. Gehen Sie voraus“, antwortete er.
    Sie hatte offensichtlich jeden Raum mehrfach begutachtet und umfangreiche Notizen von allen Schäden gemacht. Es war eine Führung zu den Baumängeln im Nordflügel. Während sie weitergingen, wuchs ihre Schätzung der Kosten für alle Reparaturen immer weiter an.
    Sie waren gerade einmal bis zum dritten Raum des nächsten Stocks gekommen, als er sagte: „Wir sollten das ganze Haus sprengen.“
    „Das wäre eine ziemlich extreme Lösung“, sagte seine Gattin. „Aber ich hätte nichts dagegen, diesen Flügel loszuwerden.“
    Er erstarrte. „Was haben Sie gesagt?“
    „Laut dem Kataster und den Plänen ist dieser Flügel ein Anbau, den man zu Beginn des Jahrhunderts hinzugefügt hat. Die Wand des eigentlichen Hauses müsste, wenn ich mich nicht täusche, genau hier sein. Ich kann keinen besonders wichtigen Grund für diesen Anbau erkennen, außer, dass der damalige Earl neidisch auf das neuere, bessere Haus seines Cousins gewesen ist und sich mit ihm messen wollte.“
    Und seither versank die Familie im Schuldenberg.
    „Ich weiß, dass Ihr Vorschlag, das Haus zu sprengen, nur Spaß war, aber vielleicht sollten wir in Erwägung ziehen, den Nordflügel nicht zu renovieren. Er war schlecht konzipiert und noch schlechter ausgeführt. Selbst wenn wir heute alles reparieren würden, müssten wir uns trotzdem ständig Sorgen über neue undichte Stellen, Fäule und Risse machen.“
    Der Nordflügel nahm zwei Fünftel des Hauses ein. Er starrte sie einen Augenblick lang an. Sie meinte es absolut ernst. Das Mädchen hatte Mut. Aber natürlich hatte sie den: Sie hatte ihn schließlich eigenhändig vom Rand eines

Weitere Kostenlose Bücher