Eine Billion Dollar
Filzstift ungelenk markiert. »Der augenblickliche, auf den ersten Blick positiv scheinende Trend wird sich noch eine ganze Weile fortsetzen, mindestens zehn Jahre, eher zwanzig. Vorausgesetzt, es kommt nicht zu politischen Verwerfungen; unser Modell ist bis jetzt nicht trennscharf genug, um Derartiges berücksichtigen zu können. Wir werden also weitere Produktivitätszunahmen erleben und damit verbunden eine weitere Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards, in den ärmeren Ländern schwächer ausgeprägt, in den ohnehin reichen Ländern stärker. Die Zunahme der Produktivität speist sich mittlerweile vorwiegend aus Vernetzungseffekten und Integration, es fallen mehr und mehr Hindernisse weg wie Grenzen, Sprachbarrieren, Handelsschranken und dergleichen, hemmende Inkompatibilitäten werden in wachsendem Maß beseitigt, und damit werden die Reserven an Produktivität frei, die man früher dazu aufwenden musste, all diese Hürden zu überwinden. Landläufig gesagt, wächst die Welt zusammen, wirtschaftlich, kommunikationstechnisch, kulturell, in jeder Hinsicht.«
McCaine nickte. »Das kann ich, ehrlich gesagt, so schlecht nicht finden.«
»Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu. Aber nichts ist umsonst, und hier ist der Preis der Verlust der einstigen Heterogenität. Was nicht gesehen wird, ist, dass in diesem Prozess unsere gesamten Lebenserhaltungssysteme, seien sie natürlichen oder technischen Ursprungs, zunehmend verletzlicher werden. Der typische Effekt von Monokulturen. Nehmen Sie als Beispiel Computerviren. In einer schlecht vernetzten, weitgehend inkompatiblen Computerlandschaft ist das Auftreten eines Virus kein Problem – er befällt einen Computer oder zwei, die anderen merken nicht einmal etwas davon. Anders, wenn wir ein hochgradig vernetztes Netz hocheffizienter Computer haben, alle mit dem gleichen Betriebssystem, alle mit der gleichen Software. Im normalen Alltag ein Traum, aber sobald ein Virus eindringt, kann er im Nu Hunderte, Tausende, Millionen von Computern befallen und lahm legen und damit das gesamte System. Und genau das ist es, was dem System unserer Lebensgrundlagen auch droht.«
»Ein Computervirus?«
»Nein. Ein Crash. Das Umkippen.«
»Was heißt das?«
»Wir beanspruchen ein komplex vernetztes System immer stärker, allein schon durch unsere wachsende Zahl. Unweigerlich wird irgendwann eine der beteiligten Komponenten über einen Grenzwert hinausgetrieben, und sie versagt. Das Versagen einer Komponente wirkt auf das gesamte restliche System zurück, und da die gesamte Beanspruchung hoch ist, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit dadurch andere Komponenten über ihre Limits getrieben und versagen ebenfalls, und so geht es weiter, wie eine Reihe von Dominosteinen fällt, sobald der erste Stein der Reihe kippt. Das Umkippen betrifft das System als Ganzes, und es geht unfassbar schnell vor sich, verglichen mit der bis dahin üblichen Geschwindigkeit von Veränderungen in dem System.«
John räusperte sich. »Entschuldigen Sie bitte. Was muss ich mir darunter konkret vorstellen? Dass ein Atomkraftwerk in die Luft fliegt?«
»Nein, das wäre als Auslöser ein zu schwaches Ereignis. Es sind eine Reihe von Szenarien für das Umkippen denkbar, darunter auch solche, in denen es durch direkte menschliche Aktivitäten ausgelöst wird. Aber das wären Ereignisse wie ein Nuklearkrieg oder eine künstlich hervorgerufene Seuche. Die meisten Szenarien gehen vom Versagen einer natürlichen Ressource aus.« Er legte eine Weltkarte auf, die die Meeresströmungen zeigte. »Unser augenblickliches Modell errechnet als Auslöser des Umkippens das Versiegen des Golfstroms.«
Die Dunkelheit schien aus den Ecken herabgekrochen zu kommen bei diesen Worten.
»Des Golfstroms ?«, echote John fassungslos.
Collins deutete mit der Spitze eines Bleistiftes auf die entsprechenden Pfeile in der Karte. »Der Nordatlantikstrom, wie der Golfstrom eigentlich heißt, bringt warmes Wasser aus tropischen Breiten nach Europa, das die Kaltluftströme aus der Arktis erwärmt und durchfeuchtet, bevor sie den Kontinent erreichen und bis zum Ural für gemäßigte Temperaturen und Niederschläge sorgen. Der Mechanismus, der diesen Strom treibt, beruht auf Unterschieden im Salzgehalt des Meerwassers und in der Temperatur. Je weiter das warme Wasser nach Norden kommt, desto kälter wird es, und durch Verdunstung nimmt zudem der Salzgehalt zu. Schließlich wird es hyper-salin , wie man sagt, und damit schwerer als alles, was sich
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