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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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in einem Eck des Zimmers. »Mir gefällt es auch nicht. Aber wenn es sein muss, werde ich trotzdem bestechen, ich werde trotzdem lügen oder betrügen, was auch immer, ich werde es tun, wenn es nötig ist, um die Prophezeiung zu erfüllen. Können Sie das verstehen? Ich habe dieser Mission mein Leben geweiht. Ich würde meine Seele dafür geben, John. Und das ist mir bitter ernst. Meine Seele.«
    John sah auf den Mann hinab, wie er hinter seinem Schreibtisch mit den Telefonen und Computerbildschirmen saß, in einem Savile-Row-Anzug, der dafür geschneidert war, Macht und Bedeutsamkeit auszustrahlen. Doch alles, was McCaine in diesem Augenblick ausstrahlte, war Hingabe – eine Hingabe, die alles menschliche Maß übertraf. Für die Dauer eines Herzschlags sah er eher aus wie ein Mönch als wie sonst etwas.
    John räusperte sich, betrachtete seine Hand, die die Zeitung zerknüllt hatte. »Ja«, sagte er, und es kam ihm so armselig vor als Antwort. Aber da war nur Leere in seinem Kopf, und alles, was er schließlich noch sagen konnte, war: »Danke.«
    Damit ging er, und er vermied es, McCaine noch einmal anzusehen.
     
    Malcolm McCaine sah sich in der Tat als eine Art Mönch. Am Abend dieses Tages jedoch, der wie immer bis zur letzten Minute angefüllt gewesen war mit rastloser Arbeit und Entscheidungen, die Tausende von Menschen und Millionen von Dollar in Bewegung setzen würden, beschloss er, daß es wieder einmal an der Zeit war, eine Ausnahme zu machen.
    Er reckte sich, dehnte die Schultern, warf einen flüchtigen Blick auf die Uhren an der Wand vor ihm, die die aktuelle Zeit in den wichtigsten Städten der Welt anzeigten. Dann türmte er die Mappen mit den aktuellen Vorgängen oben auf die verschiedenen Stapel auf seinem wie immer chaotisch aussehenden Schreibtisch, schlüpfte in sein Jackett, nahm die Kassetten aus den verschiedenen Diktiergeräten und löschte beim Verlassen seines Büros das Licht.
    Die Sekretärinnen waren alle längst gegangen. Er verteilte die Diktate auf ihre Schreibtische, dann ging er zum Fahrstuhl, der ihn direkt hinab in die Tiefgarage brachte.
    In den vergangenen Jahrzehnten hatte er weder die Zeit noch die Energie erübrigen können, die einer wirklichen Beziehung seiner Auffassung nach zustand, und deshalb Alternativen gesucht, zumindest die körperlichen Grundbedürfnisse zu befriedigen. Eine dieser Alternativen stellte das Etablissement dar, das er nach kurzem Überlegen ansteuerte. Es hatte sich durch hervorragende Hygiene und den Ruf absoluter Diskretion einen exklusiven Kreis von Kunden geschaffen, die die gleichfalls exklusiven Tarife zu zahlen gewillt waren.
    Die Chefin des Hauses, eine geschmackvoll gekleidete Mittvierzigerin, die man sich auch ohne weiteres als Leiterin einer Telefonmarketingagentur hätte vorstellen können, begrüßte ihn. Sie nannte niemanden beim Namen, erinnerte sich aber an alle Gesichter.
    »Wir haben viele neue Mädchen da«, erklärte sie, »schöne junge Frauen aus Asien und Afrika…«
    »Ja, ja.« McCaine verstand nicht wirklich, was sie sagen wollte. Er hatte in so vielen verschiedenen Ländern gelebt, war mit so vielen Menschen verschiedener Nationalität und Hautfarbe aufgewachsen, dass ihm Rassismus völlig fremd war. So entging ihm auch der Rassismus dieser Bemerkung.
    Was er suchte, war etwas anderes. Er ging langsam die Parade der Mädchen entlang, ganz dicht vor ihnen, sah jeder forschend ins Gesicht. Er sah in gleichgültige Gesichter, in abgestumpfte Gesichter, in geldgierige Gesichter, ab und zu sogar in so etwas wie Freundlichkeit. Er wusste, dass er kein attraktiver Mann war, zu groß, zu schwer, zu ungeschlacht. Er ging von einer zur anderen, bis er bei einer jenen Ausdruck in den Augen entdeckte, der ihm verriet, dass sie dachte: Nicht mich! Hoffentlich nimmt er nicht mich!
    »Du!«, sagte er dann, ihr erschrockenes Einatmen befriedigt registrierend.
    Sie war schlank, nichts Besonderes, hatte unscheinbares, halblanges Haar von schmutzigem Braun. Es gefiel ihm, hinter ihr die Treppe hochzugehen und den Widerstand in ihren Schritten zu sehen. Es erregte ihn, zu wissen, dass sie ihn verabscheute, dass sie aber, weil er das Geld besaß, trotzdem die Beine vor ihm breit machen würde.
     
    Der Mai des Jahres 1997 brach an. Die Briten wählten mit der Labour Party unter Tony Blair eine neue Regierung, und der charismatische neue Prime Minister versprach, alles besser zu machen. John überlegte, während er die Fernsehberichte verfolgte,

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