Eine Billion Dollar
wissen, mit welcher Strategie wir die Katastrophe verhindern.«
Professor Collins atmete geräuschvoll ein. »Es ist Ihnen klar, dass das ziemlich viele Läufe werden? Permutationen dieser Art gehen schnell in die Millionen und Milliarden…«
McCaine blieb stehen. »Na und? Sie bekommen so viele und so schnelle Rechner, wie Sie brauchen. Ich kaufe Ihnen Deep Blue, wenn Sie etwas damit anfangen können. Was hat der denn anderes getan, als Milliarden möglicher Zugkombinationen durchzurechnen? Und er hat gewonnen.« In seinen Augen funkelte es. »Genauso werden wir es auch machen.«
Der Zug passierte die Elbebrücke, Stützträger huschten vorbei. Der Blick ging über den Hafen. Die Sonne strahlte herrlich, die Ladekräne sahen aus wie eine Herde urweltlicher Tiere, in einem glitzernden Flusslauf weidend. Hamburg, ja, warum nicht? Ursula Valen hauchte gegen die Scheibe und sah zu, wie die beschlagene Stelle rasch wieder verschwand. Falls sie sich tatsächlich entschließen sollte, aus Leipzig fortzuziehen. Falls sie eine Stelle fand, obwohl sie sich nicht einmal sicher war, dass sie eine wollte.
Wozu war sie hier? Wollte sie wirklich Public Relations für einen Handelskonzern machen? Natürlich nicht. Die Wahrheit war, dass sie einen Ausweg suchte.
Im Nachhinein betrachtet war es ein Fehler gewesen, zu versuchen, das Unvermeidliche zu vermeiden. Das Elektrogeschäft, das ihr Vater unmittelbar nach der Wende gegründet hatte, sein ganzer Stolz, war gut gelaufen, ja. Aber nicht gut genug. Zumindest hätte sie darauf bestehen sollen, in andere, billigere Geschäftsräume umzuziehen, ehe sie anfing, ihr eigenes Geld in die Löcher zu stopfen, die sich nach und nach aufgetan hatten, und Bürgschaften zu unterschreiben, an denen sie ein Leben lang zahlen würde. Spätestens in dem Moment, in dem die Miete so irrsinnig erhöht worden war. Aber so… Da hatte alle Expansion nichts genutzt, die neuen Mitarbeiter nicht und die Werbung in der Straßenbahn auch nicht. Schließlich hatte ihr Vater doch aufgeben und froh sein müssen, bei einem seiner früheren Kunden als Angestellter unterzukommen.
Das also war die Bilanz von zwei Jahren harter Arbeit: all ihr Geld weg, Schulden bis über beide Ohren, und anstatt eines Doktortitels hatte sie gerade mal und auf den letzten Drücker ihren Magister geschafft, mit einem Notenschnitt, der den Abschluss kaum das Papier wert sein ließ, auf das er gedruckt war.
Was sie am meisten verbitterte, war, dass es am Ende die horrenden Kosten für die Pflege ihres Großvaters gewesen waren, die dem Geschäft ihrer Eltern den Rest gegeben hatten. Warum waren eigentlich alle diese alten Nazis so verdammt langlebig? Achtundachtzig Lenze zählte Großvater, immer noch rüstig, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl, der ganze verdammte Hitlerjungen-Scheiß. Er hetzte die senilen Idioten um sich herum gegen die Heimleitung auf, tyrannisierte ausländische Pfleger mit rassistischen Sprüchen, und dass einige von dunklerer Hautfarbe sich inzwischen standhaft weigerten, mit ihm zu tun zu haben, schien ihn mit diebischer Freude zu erfüllen. Auszubaden hatten es ihre Eltern, wie eh und je. Falls möglich, war seit der Wende eher noch schlechter mit ihm auszukommen als davor. Zu DDR-Zeiten hatte er wenigstens immer mal wieder ein paar Jahre im Gefängnis gesessen. »Ihr hättet mich eben rechtzeitig vergiften müssen«, war sein ganzer Kommentar gewesen, als sie ihm vorgehalten hatte, dass er ihr schon wieder einmal die Träume ihres Lebens zerstört habe.
Obwohl Ursula Valen nicht an Gott glaubte, hatte sie manchmal den Verdacht, dass es ihn doch gab und er nur zögerte, Großvater zu sich zu rufen, weil auch er nichts mit ihm zu tun haben wollte.
Der Bahnhof umfing sie, die riesige Halle, die dem Leipziger Hauptbahnhof genug ähnelte, um sie einen Schreckmoment lang glauben zu lassen, sie käme bereits zurück. Sie stieg aus, ließ sich im Strom der anderen Reisenden mittreiben, versuchte an das Gespräch zu denken, das ihr bevorstand, und hatte doch nur ihre Eltern vor Augen. Alt und erschöpft waren sie, einfache Leute, die einfach nur ordentlich hatten leben wollen und deren einziger Lichtblick sie war, die Tochter, das einzige Kind. Was immer sie von Leipzig wegführen würde, es lief darauf hinaus, sie allein zu lassen.
Geistesabwesend studierte sie den U-Bahn-Fahrplan, suchte die richtige Strecke heraus. Es schien sich nicht viel verändert zu haben in Hamburg, seit sie das letzte Mal
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