Eine Billion Dollar
darunter befindet; es sinkt auf den Meeresgrund hinab und ergießt sich südwestlich von Grönland als mächtiger unterseeischer Wasserfall in die Tiefe des Atlantikbeckens. Der dadurch erzeugte Sog ist es, der ständig neues warmes Wasser aus dem Golf von Mexiko heraufzieht.«
John dachte an ihre Flüge über den Atlantik und die grandiose Aussicht endlosen Wassers und versuchte, sich vorzustellen, von welch gigantischen Bewegungen hier die Rede war. »Das ist doch ein riesiger Prozess«, sagte er. »Wodurch soll so etwas gebremst werden?«
»Das ist leider ziemlich leicht möglich«, sagte Collins mit trübem Blick. »Und ich rede nicht von einem Nachlassen des Golfstroms, ich rede von seinem Versiegen. Um das herbeizuführen, genügt bereits eine Erwärmung der Nordhalbkugel um etwa fünf Prozent. Worauf wir uns mit Riesenschritten zubewegen.« Er legte ein anderes Diagramm auf, lauter Pfeile und Formeln, die John nicht das Geringste sagten. »Ich will in groben Zügen den Ablauf skizzieren. Allgemeine Erwärmung führt, wie bekannt sein dürfte, zu einem verstärkten Abschmelzen der Polargletscher. In diesem Zusammenhang denken wir immer nur an steigende Meeresspiegel und freuen uns, wenn wir nicht in einer Hafenstadt leben. Aber was uns hier in Europa betrifft, sind steigende Meeresspiegel das geringste Problem. Viel gravierender ist, dass es sich bei Polareis um Süßwasser handelt. Süßwasser ist leichter als Meerwasser, darum verteilt es sich weiträumig auf dem Meer, und es gefriert leichter. Mit beginnendem Winter bildet sich eine dünne Packeisdecke, die das warme Wasser aus den Tropen von der arktischen Kaltluft isoliert, die also weder erwärmt noch durchfeuchtet werden kann, ehe sie in Europa einfällt. Da umgekehrt nichts von dem tropischen Wasser verdunstet, wird dessen Salinierung verhindert, und anstatt in die Tiefe zu sinken, verteilt es sich einfach in den Weiten des Nordmeers. Der unterseeische Wasserfall versiegt, und damit auch der Sog, der den Golfstrom angetrieben hat.« Der Wissenschaftler sah in die kleine Runde. »Von einem Jahr aufs nächste herrscht damit in Europa dasselbe Klima wie in Südalaska oder Mittelsibirien – kalt, trocken, dauergefrorene Böden. Hier in London wird die Temperatur selbst im Sommer kaum je den Gefrierpunkt übersteigen. Eine halbe Milliarde Menschen leben in Europa – wohin sollen sie gehen, wie sich ernähren? Eine Kettenreaktion politischer, wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen wäre die Folge, die das Ende der Zivilisation bedeuten, wie wir sie kennen.«
John fühlte seinen Mund trocken werden, und er hätte schwören können, schon zu spüren, wie es kälter wurde.
»Und wie kann man das verhindern?«, fragte er.
»Indem man die Erderwärmung stoppt.«
»Und wie stoppt man die Erderwärmung?«
»Indem man den Ausstoß an Kohlendioxid reduziert.«
»Und wie…?«, begann John, doch McCaine fiel ihm ins Wort. »Nein, John, so funktioniert das nicht. Sie schlagen genau den falschen Weg ein. Das ist lineares Problemlösungsverhalten, und das funktioniert in vernetzten Systemen nicht. Wenn Sie nicht das System als Ganzes im Blick behalten, treffen Sie Entscheidungen, die ein Problem lösen, dafür aber ein Dutzend neue schaffen und zwei Dutzend bestehende verschlimmern.« Er sah den Professor an. »Oder? Das ist doch richtig?«
Collins nickte. »Mehr Atomkraftwerke zum Beispiel würden den Ausstoß an Kohlendioxid merklich reduzieren, aber die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls mit weiträumiger radioaktiver Verstrahlung deutlich erhöhen.« Er machte eine vage Handbewegung. »Außerdem zeigt sich die Entwicklung des Modells dergestalt, dass sich die kritischen Bereiche immer mehr zuspitzen und im Lauf der Zeit die Auslöser eines Umkippens immer weniger groß zu sein brauchen. Wenn der Golfstrom erhalten bleibt, reicht zehn Jahre später, sagen wir, ein großes Erdbeben in Tokio, um die Weltwirtschaft zusammenbrechen zu lassen und in der Folge Hungersnöte ungekannten Ausmaßes auszulösen, in deren Verlauf das ökologische System durch verzweifelte Maßnahmen wie Überfischung, Holzverfeuerung und so weiter vollends zerstört wird. Unabhängig davon wird die gesamte Zivilisation zunehmend anfälliger gegen Epidemien, einerseits weil sich Erreger entlang moderner Verkehrswege immer leichter und weiträumiger ausbreiten können, andererseits weil die Immunsysteme von immer mehr Menschen aus einer Vielzahl von Gründen immer weniger
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