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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Sterben«, sagte er einmal, und ein andermal fragte er: »Gibt es ein bestimmtes Datum in nächster Zeit, das für ihn von Bedeutung ist? Ein Jahrestag oder so etwas?«
    »Nicht dass ich wüsste«, sagte Alberto. »Wieso ist das wichtig?«
    »Man erlebt es, dass Sterbende mit ihren Kräften haushalten, weil sie einen bestimmten Tag noch erleben wollen – einen Geburtstag, ein Jubiläum, den Todestag der Ehefrau…«
    »Unsere Mutter ist im Mai 76 gestorben, das kann es nicht sein«, warf Gregorio ein. Er zog seinen Terminkalender heraus, grübelte eine Weile darüber und schüttelte dann den Kopf. »Nein, mir fällt nichts ein.«
    So warteten sie weiter. Ursula hatte ein Gästezimmer, John bekam auch eines, für die Leibwächter, die man nicht mehr im Haus unterbrachte, wurden Zimmer im Dorfgasthof gemietet. Sie saßen beieinander, die Vacchis erzählten von früheren Zeiten, man aß und trank, was Giovanna auftischte, und das war nicht wenig: als könnten sie dem Padrone das Leben retten, indem sie den Keller leer aßen. Die Nacht kam und ein neuer Morgen, und der Padrone lebte immer noch, atmete, sah stundenlang unverwandt aus dem Fenster in den Himmel, wollte aber niemanden sprechen, nichts.
    Es war in diesen Stunden, als breite sich ein tiefer Friede im Haus und über das ganze Anwesen aus, ein Friede, der nicht von dieser Welt zu sein schien. Es war, als lege sich ein Zauber über sie, der alles ringsum versinken lassen und die Zeit anhalten konnte.
    Doch zumindest außerhalb des Familiensitzes wirkte der Zauber nicht. »Bitte halten Sie mich jetzt nicht für pietätlos«, sagte Gregorio Vacchi zu dem Arzt, »aber es ist nun mal so, dass das Leben weitergeht, der Alltag, dass Termine warten, die man nicht beliebig oft verschieben kann…«
    »Ich kann es Ihnen nicht sagen«, erwiderte der Arzt. »Ich weiß nicht, wie lange es noch gehen wird. Niemand kann das sagen. Vor ein paar Tagen wäre ich mir sicher gewesen, dass Sie sich um die Termine der nächsten Woche keine Sorgen machen müssen, aber mittlerweile… Womöglich geht es noch in den Oktober hinein. Es würde mich zumindest nicht wundern.«
    So warteten sie weiter. Zu erzählen fand sich immer weniger; sie hingen ihren Gedanken nach oder wanderten ruhelos umher, die Nerven bebend von der Intensität der Atmosphäre.
    »Denken Sie auch, dass er auf etwas wartet?«, fragte Ursula Valen, als sie John am späten Nachmittag im Garten antraf, am äußersten Ende, dort, wo man aufs Meer hinausschauen konnte.
    John hob die Schultern. »Keine Ahnung. Ich hoffe nur, er wartet nicht darauf, dass mir die geniale Idee kommt, wie die Prophezeiung zu erfüllen wäre.«
    »Das klingt, als würden Sie an diese Prophezeiung glauben.«
    »Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Er glaubt auf jeden Fall daran.«
    Sie nickte. »Ja, ich weiß«, sagte sie und wandte den Blick auch aufs Meer. Über der Küste lag ein dünner Dunstschleier. Der Herbst nahte, auch hier.
    John musterte sie von der Seite. Auf eine herbe Art war sie schön. Das war ihm bei ihrer ersten Begegnung überhaupt nicht aufgefallen. Er spürte den Impuls, ihr ein Kompliment zu machen, aber das ließ er wohl besser, so, wie er sich damals aufgeführt hatte.
    »Sie haben im Archiv geforscht, nehme ich an«, sagte er stattdessen. »Für Ihr Buch. Sie wollten doch ein Buch schreiben, wenn ich mich recht erinnere?«
    »Das hatte ich mal vor, ja.« Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute wieder in die Ferne. Großartig, nun hatte er sie darauf gebracht, an ihren Streit damals in der Kanzlei zu denken. Genau das, was er hatte vermeiden wollen.
    Sie drehte sich um und studierte das Haus. »Wir stehen genau vor Mister Vacchis Fenster, glaube ich. Das dort, mit den dicken Vorhängen. Oder?«
    John sah in die Richtung, in die sie zeigte, versuchte sich den Aufbau des Hauses zu vergegenwärtigen. Er erinnerte sich an die schweren, goldfarbenen Behänge. »Kann gut sein.«
    »Meinen Sie, er sieht uns hier?«
    »Ich glaube, von seinem Bett aus sieht er nur den Himmel.« Er sinnierte einen schweigenden Moment lang über den Doppelsinn dieser Formulierung. »Auf gewisse Weise beneide ich ihn«, gestand er dann und fragte sich, warum er ihr das erzählte.
    »Einen Sterbenden?«
    »Er stirbt in dem Bewusstsein, die Aufgabe erfüllt zu haben, die ihm im Leben zugedacht war. Ich wünschte, ich könnte glauben, dass mir das auch einmal so gehen wird. Ich wünschte, ich wüsste

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