Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
wecken in mir den Verdacht, dass Sie mit Ihrer Arbeit nicht so weit gekommen sind, wie wir im Mai vereinbart und wie Sie mir all die Zeit zurückgemeldet haben.«
    »Oh, doch, das sind wir«, erwiderte Collins, nahm seine Brille ab und fing an, sie mit einem Zipfel seines weißen Kittels zu putzen. »Wir sind sogar weiter gekommen als gedacht. Aber der erhoffte Plan, fürchte ich, fand sich unter den Ergebnissen nicht.«
    »Das kann nicht sein.«
    Der Professor nahm ein Blatt von seinem Tisch. »Angestrebtes Ziel waren hundertzwanzig Millionen Simulationsläufe bis Anfang Oktober. Damit wären alle Extrempunkt-Sets vollständig und die fünfhundert besten Ansätze feingranuliert abgearbeitet gewesen. Tatsächlich haben wir bis heute früh zehn Uhr genau 174.131.204 Läufe absolviert, also fast anderthalb mal so viel wie geplant.« Er legte das Blatt wieder beiseite. »Der Grund, warum wir keinen funktionierenden Plan gefunden haben, ist nicht, dass wir zu langsam gewesen wären oder zu wenig Computer gehabt hätten. Der Grund ist, dass es einen solchen Plan nicht gibt.«
     
    Sie suchten sich einen Platz in einer der alten Kirchenbänke, deren weißer Lackanstrich alt und verwittert wirkte, setzten sich und schwiegen.
    John ließ die Atmosphäre auf sich wirken. Es kam ihm ganz und gar unglaublich vor, dass dies ein Ort sein sollte, von dem eine Revolution ausgegangen war. Die Nikolaikirche war klein und unscheinbar, außen von Baustellen umzingelt, innen bescheiden erhellt und kaum besucht. Die Fenster ringsum hatte man von außen zugestellt, wo nicht dunkle Vorhänge hinter Mattglas zugezogen waren. In der Ecke neben ihnen stand, neben einer Anschlagtafel und einem Opferstock, ein großes, handgemaltes Schild, das im Innern eines kreisförmigen Regenbogens die Gestalt eines Mannes zeigte, der mit dem Hammer auf etwas einhieb. »Schwerter zu Pflugscharen«, übersetzte Ursula ihm flüsternd die Inschrift. »Friedensgebet in St. Nikolai, jeden Montag 17 Uhr.«
    Damit also hatte es angefangen. Mit einer schlichten Einladung in diese Kirche. John versuchte zu erspüren, ob dieser Ort eine Erinnerung bewahrt hatte an hoffende, verzweifelte, verängstigte, wütende, zitternde, zu allem entschlossene Menschen – aber da war nichts, oder wenn, dann spürte er es nicht. Er sah matte, weiße Holztäfelungen, Verzierungen in zartem Lindgrün, mächtige Säulen, die das Dach des Kirchenschiffs trugen, auf stilisierten Kränzen ruhend und weiter oben in ebenso stilisiertem grünen Blattwerk endend; eine ganz normale Kirche eben. Es kam ihm merkwürdig vor, dass nicht einmal eine Gedenktafel auf die Ereignisse des Herbstes 1989 hinwies. Dass nicht einmal die neue Regierung so etwas für nötig befunden zu haben schien.
    Als ob auch die neuen Regierenden lieber vergessen machen wollten, wie einfach jede Regierung zu stürzen war – indem nämlich alle Menschen zugleich aufstanden und sagten: »Schluss!«
    Ursula sah ihn forschend an. »Bist du eigentlich… wie sagt man? Gläubig?«
    »Meinst du, ob ich oft in die Kirche gehe? Das letzte Mal war ich vor zwanzig Jahren in einer Kirche, als Cesare geheiratet hat. Das ist mein ältester Bruder«, fügte er hinzu.
    Sie lächelte flüchtig. »Ich weiß. Ich habe einmal im Flugzeug neben ihm gesessen.«
    »Ach so, ja.« Das war eine der Anekdoten gewesen, die sie sich in den vergangenen Nächten erzählt hatten.
    »Nein, ich meinte, ob du religiös bist. Ob du an einen Gott glaubst.«
    »Glaube ich an einen Gott?« John holte tief und seufzend Luft. »Vor drei oder vier Jahren hätte ich auf diese Frage eine klare Antwort gehabt, aber heute… Ich weiß nicht. Du fragst wegen der Prophezeiung, nicht wahr?«
    »Klar. Wenn du glaubst, dass Giacomo Fontanelli seine Vision von Gott empfangen hat, musst du logischerweise auch an Gott glauben.«
    John wiegte den Kopf. »Sagen wir, ich versuche offen zu sein für die Möglichkeit, dass hinter all dem ein göttlicher Plan stecken könnte… Vielleicht hoffe ich es sogar. Aber dass ich es glaube…?« »So wie Cristoforo Vacchi es geglaubt hat?« »Nein. So nicht«, schüttelte John entschieden den Kopf. »Ich wollte, ich könnte es.«
    »Das letzte Mal habe ich bei der Jugendweihe an etwas geglaubt. Seid ihr bereit, alle eure Kräfte für ein glückliches Leben der werktätigen Menschen einzusetzen? Ja, das geloben wir. Für ein friedliebendes, demokratisches und unabhängiges Deutschland? Ja, das geloben wir. Und so weiter. Ich wollte im

Weitere Kostenlose Bücher