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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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dem Gestank, der ihm schon wie ein übler Geschmack im Mund lag, in jede Pore seines Körpers gedrungen war und sich anschickte, ihn zu zersetzen. Und nun war ihm heiß, so elend heiß, dass seine Zunge austrocknete und anschwoll und sich wie ein Gummiball in seinem Mund anfühlte.
    Ein Rascheln, das näher kam. Schritte? Ratten? Sollten sie ihn doch fressen, was scherte es ihn. Aber sie fraßen ihn nicht, sie fraßen die Riemen auf seinem Rücken, und als sie sie gefressen hatten, fielen seine Arme leblos und schwer am Körper herab wie tot, gehörten nicht mehr zu ihm, pochten und pulsten, als wollten sie platzen.
    Dann gingen sie ihm an die Kehle, aber dort fühlten sie sich wie Hände an, die aufknoteten und nestelten und zerrten, und endlich wurde ihm die Kapuze vom Kopf gezogen. Das grelle Licht trieb ihm die Tränen in die Augen. Er sah nur endloses Grau über sich und darin das verschwommene Gesicht einer dunkelhaarigen Frau. »Ursula«, sagte er glücklich.
    Ursula sagte etwas, und er wunderte sich, dass sie Spanisch mit ihm sprach. Es kitzelte, als der Schmerz um seine Waden nachließ. Sie reichte ihm die Hand, ein breites, engelhaftes Gesicht, dunkle Augen wie tiefe Brunnen. Sie half ihm auf, und das Kind an ihrer Seite half ihm auch, doch es tat weh, zu stehen, seine Füße schmerzten wie offene Wunden, und als er an sich hinabblickte, sah er, dass seine Schuhe verschwunden waren.
    »Das ist eine Gemeinheit«, erklärte er ihr. »Das waren John-Lobb-Maßschuhe für sechstausend Dollar.«
    Sie sah ihn nur an, und er durfte sich auf sie stützen, und so gingen sie langsam den Müllhügel hinab bis zu einer Tür, in der ein kariertes Stück Stoff hing. Dahinter war es dunkel und eng, und es gab einen Platz zum Hinlegen. Jemand hob seinen Kopf hoch und gab ihm warmes Wasser zu trinken, das nach Metall schmeckte, aber es netzte die Zunge und den Rachen, wurde aufgesaugt vom Körper, und als der Becher leer war, durfte er sich zurücklegen und schlafen.
     
    Immer wieder Erwachen aus fiebrigen Träumen, Auftauchen aus Dimensionen der Angst und der Verzweiflung, Hochfahren mit einem Schrei – und eine Hand, die da war, die ihn zurückdrückte, ihm einen Becher mit Wasser an die Lippen setzte. Eine sanfte Stimme, die er nicht verstand, aber sie redete ihm beruhigend zu, bis er wieder hinabsank ins Dunkel.
    Sein Herz schlug wild in dieser Zeit ohne Maß, brauchte die Schläge eines halben Lebens auf, um Gifte aus seiner Blutbahn zu treiben, Krankheitserreger abzutöten, Albträume auszuschwitzen. Er versank in Schweiß, schlug um sich, hörte sich heulen und klagen und stöhnen, bis das Vergessen ihn zurückholte.
    Sie redete mit ihm, sang ihm seltsame Lieder. Ursula war das nicht, nein. Die Frau hatte samtene, braune Haut und blickte traurig drein. Sie kühlte ihm die Stirn mit feuchten Tüchern, wenn ihm heiß war, seine Augäpfel brannten und sein Herz zu zerspringen drohte. Und bisweilen legte sie ihm die Hand auf die Brust und beschwor unbekannte Götter, bis ihm die Augenlider schwer wurden und der Schlaf zurückkam.
     
    John erwachte und fühlte sich, als sei das Fieber ausgebrannt. Er war schwach, selbst sich nur aufzurichten ließ sein Herz rasen, aber sein Kopf war klar, sein Leib leicht, sein Blick wach. Er wusste wieder, was passiert war, und er wusste, dass er gerettet worden war.
    Da war der Vorhang, an den er sich erinnerte, der Vorhang aus kariertem Stoff, und er leuchtete, weil draußen Tag war und die Sonne schien. Stimmen waren zu hören, ferne Rufe, nahe Gespräche, Hunderte von Menschen ringsum. Metall klapperte, Steine hieben auf Steine, emsige Geschäftigkeit. Und alles war durchdrungen von einem beißenden Geruch, Müll, Rauch, Verwesung, Fäulnis.
    Die Luft war dreckig. Er war dreckig. Seine Haut fühlte sich talgig an, von einer unablösbaren Schmierschicht überzogen, seine Unterwäsche kniff klamm und eklig im Schritt, die Kopfhaut juckte erbarmungswürdig… Als er sich ans Kinn langte, entdeckte er einen Bart, und was für einen, großer Gott – wie lange mochte er krank gewesen sein? Das waren keine Stoppeln mehr, das waren weiche, lange Barthaare, wie er sie noch nie im Leben gehabt hatte.
    Er sah sich um. Ein armseliger Unterschlupf aus Wellblech und Karton, nur die Wand unmittelbar neben ihm war ein bröckeliges Stück Mauer. Er lag auf der einzigen Liegestatt im Raum, einer knotigen, rissigen Matratze mit einer grauen Decke darauf. Neben ihm standen Orangenkartons und ein

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