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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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windschiefer, verfärbter Flechtkorb mit Habseligkeiten, ein angesengtes Madonnenbild war der einzige Wandschmuck, darunter hing eine Spiegelscherbe und am Boden entlang standen schmutziggrüne Flaschen mit Wasser, eine Schachtel mit schrumpeligem Gemüse und, merkwürdiges Besitzstück, ein Paar hochhackiger Schuhe.
    Er wälzte sich ächzend herum, sodass er sich in dem Stück Spiegel betrachten konnte, und erblickte einen Fremden. Das Gesicht hohlwangig und ausgezehrt, die Haare verfilzt, dazu der merkwürdig krause Bart: Nicht einmal seine Mutter hätte ihn erkannt. Er musste schon mindestens zwei Wochen hier sein, wenn nicht länger. Falls er das wirklich war, den er da im Spiegel sah. Falls nicht durch einen Zauber oder eine verbotene Operation seine Seele in den Körper eines anderen gelangt war, eines alten Landstreichers und Müllsammlers. Ganz sicher war er sich nicht.
    Der Vorhang wurde beiseite getan, Licht fiel in einer breiten Bahn herein und vertrieb allen pittoresken Glanz aus dem Obdach, enthüllte erbarmungslos seine Armseligkeit. John sah blinzelnd herum. Sie. Die ihn gerettet hatte, aufgelesen aus dem Müll, befreit, aufgenommen und gepflegt. Eine kleine, braunhäutige Frau mit breitem Indiogesicht und öligen, schwarzen Haaren, in ein schmuckloses Kleid unbestimmbarer Farbe gehüllt, stand sie da und sah ihn ruhig an.
    »Du gut?«, fragte sie.
    »Ja. Danke«, nickte John. »Es geht mir schon viel besser. Vielen Dank, dass Sie mich aufgenommen haben; ich dachte schon, ich sterbe da draußen im Müll.«
    Sie wiegte den Kopf sacht hin und her, schien zu überdenken, was er gesagt hatte, wirkte besorgt. »Du gehen«, sagte sie dann. »Eine Stunde. Dann zurückkommen. Okay?«
    John musterte sie verdutzt, unsicher, ob er sie richtig verstanden hatte. »Ich soll eine Stunde lang rausgehen?«
    »Ja. Eine Stunde, dann zurück. Hinlegen.«
    »Alles klar«, nickte er. »Kein Problem.« Er setzte sich auf und merkte, dass es doch ein Problem war. Er musste sich an der Steinwand abstützen, bis das dunkle Flimmern um ihn herum nachließ. »Kein Problem«, wiederholte er trotzdem und machte, dass er auf die Beine kam. Die Decke war zu niedrig, um aufrecht zu stehen, also hinaus, den Vorhang beiseite und ins grelle Licht des Tages geblinzelt.
    »Ich dich rufen«, hörte er sie sagen, eine verschwommene Gestalt vor dem sinnverwirrend hellen Hintergrund.
    »Schon klar«, meinte John, heftig nickend, und tastete sich seinen Weg an einem hüfthohen Mauerrest entlang, eine ganze Weile ging das, bis ihm ein Tier durch die Beine strich, eine Katze, und ihm einfiel, dass er sich vielleicht besser nicht so weit von der Hütte entfernte.
    So richtig gut war ihm noch nicht, nein. Er sah sich mit tränenden Augen um nach einer Stelle, wo er sitzen konnte. Der Qualm brannte in der Nase und in den Augen, die er sich mit dem Handrücken rieb, und dabei entdeckte er, dass der Qualm von einem offenen Feuer in der Nähe kam. Darüber stand ein verbeulter Kochtopf, in dem etwas köchelte, das nach Gemüse roch und nach Mais. Zwei krätzige Hunde lagen mit hängender Zunge daneben. Eine gebeugt gehende alte Frau tauchte auf, die die Suppe umrührte und etwas keifte, das John nicht verstand und von dem er nicht einmal wusste, ob es ihm galt oder den Hunden. Zur Sicherheit stand er auf und ging weiter.
    Das war hier eine richtige Siedlung am Fuß des Müllbergs, ein Dorf aus Blech, Plastikplanen und Holzdielen, eingebettet in Bauschutt, Hügel verrottenden Zeitungspapiers und Halden zerfledderter Plastiksäcke. John sah staunend zu, wie Kinder und Erwachsene gebückt die Müllhänge und Abfallböschungen absuchten und auflasen, was sie weiterer Nutzung für wert fanden, wie Altmetall zu Haufen getürmt und von anderen Mitgliedern dieser bizarren Müllsammlerarmee bewacht wurde, wie man Kartons zerlegte und Müllsäcke fachgerecht auswaidete, zerrissene Kleidung, alte Autobatterien, Flaschen, Dosen, Krimskrams zutage förderte. Die Älteren trugen Baseballmützen, vor die Nase gebundene Tücher und Handschuhe, die Kinder Jeanshosen und kurzärmlige, gestreifte Polohemden; sie sahen nicht einmal sonderlich ärmlich aus, eher so, als würden sie nur die Schule schwänzen und sich auf der Müllkippe die Zeit vertreiben.
    Plötzlich kam Aufregung in die Männer, Frauen und Kinder. Ein schwerer Motor heulte, es krachte und knirschte, und schließlich tauchte am oberen Rand des Müllabhangs ein riesiger Laster auf. Er rangierte in Position,

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