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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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auf, dass er keine Ahnung hatte, wohin die Reise eigentlich ging und ob er sich nicht womöglich in Höllentempo von seinem Ziel entfernte. Und was war überhaupt sein Ziel? Er klopfte an das Fahrerhaus und bedeutete dem Mann, ihn abzusetzen.
    Da stand er dann am Straßenrand, verloren in einer Stadt, gegen die New York überschaubar wirkte, auf sich allein gestellt. Er winkte dem davonknatternden Lastauto nach, aus dem ein nackter brauner Arm grüßte, dann war auch das verschwunden.
    Er sah sich um. Hohe, abweisend wirkende Mauern, verwitterte Werbetafeln, vergitterte Fenster. Die wenigen Menschen, die unterwegs waren, gingen ihm aus dem Weg, und wenn er an sich hinabsah, verstand er, weshalb. Sein einstmals eleganter, heller Maßanzug hing ihm in Fetzen undefinierbarer Farbe vom Leib, er hatte keine Schuhe mehr an den Füßen, sondern ging in löchrigen, zerschlissenen Socken, und dafür, wie er stank, hatte er längst jedes Empfinden verloren. Mit einem mulmigen Gefühl kam ihm zu Bewusstsein, dass es schwierig werden mochte, zu beweisen, dass er der reichste Mann der Welt war.
    An einer Stelle, die wie eine Bushaltestelle aussah, war eine Anschlagtafel an die Hauswand geschraubt, ein simples Holzbrett, an dem ein Fahrplan klebte und ein grober Stadtplan von Mexico D. F. und Umgebung, in dessen Betrachtung sich John vertiefte. Wie es aussah, befand er sich im Norden der Stadt, womöglich in einem Stadtteil, der Azcapotzalco hieß. Er versuchte, den Weg zu rekonstruieren, den das Lastauto gefahren war, und kam zu dem Schluss, dass der Müllplatz in Netzahualc­yotl gewesen sein musste, einem Ort unweit eines Sees namens Texcoco.
    Das hieß, dass er sich von nun an südlich zu halten hatte. Er versuchte anhand des Sonnenstandes und der vermutlichen Uhrzeit abzuschätzen, wo Süden sein mochte. Einen Moment überlegte er, wie er es anstellen konnte, einen Bus zu nehmen, aber ihm fiel nichts ein. Er würde ein mehrstündiges Wannenbad, eine komplett neue Garderobe und Geld brauchen, ehe an so etwas zu denken war.
    Er drehte den Kopf, als er ein Auto heranrollen hörte. Es war ein Polizeiauto. Natürlich, die Polizei! Man suchte sicher nach ihm seit der Entführung. Er brauchte sich nur an den nächsten Polizisten zu wenden, um aller Sorgen ledig zu sein.
    In diesem Augenblick ging unter dem Dach des Hauses gegenüber ein Fenster auf, eine alte Frau streckte den Kopf heraus, zeigte mit dem Finger auf ihn und schrie etwas. Das Polizeiauto hielt, und die zwei Männer darin stiegen aus und näherten sich ihm in machomäßigem Wiegeschritt, ihre Knüppel schlagbereit in Händen.
    Es sah nicht so aus, als ob sie kamen, um die Zahl seiner Sorgen zu verringern. John machte, dass er in die entgegengesetzte Richtung davonkam, und war heilfroh, dass sich die Polizisten mit diesem Ergebnis ihrer Bemühungen zufrieden gaben.
    Das war doch keine so gute Idee. Sich an die Polizei zu wenden hieß, sich schon wieder der Willkür von jemandem auszuliefern, der Waffen besaß, und davon hatte er erst einmal genug. Ihm fiel eine Bemerkung ein, die jemand während des Herfluges hatte fallen lassen, einer der Leibwächter vermutlich: Nichts in Mexiko sei so gefährlich wie die Polizei. Nein, er würde das auf eigene Faust regeln. Fontanelli Enterprises unterhielt eine Niederlassung in Mexico-City, an die konnte er sich ohne Gefahr wenden. Er wusste zwar nicht genau, wo das Büro lag, aber es war jedenfalls im Stadtzentrum. Und das würde er vollends zu Fuß erreichen.
    So marschierte er los. Und wenn er Tage brauchen sollte, was machte es? Er brauchte nichts, hatte nicht einmal Hunger nach der langen Zeit im Fieber. Ab und zu fand sich ein Brunnen oder ein kleines Rinnsal, aus dem er ein paar Schluck Wasser nahm, um den Staub aus der Kehle zu spülen; dass das Wasser brackig schmeckte oder ölig glänzte, kümmerte ihn nicht. Er wanderte an Straßen entlang, in denen der Verkehr immer dichter wurde, je weiter er kam, was er für ein Zeichen hielt, dass er in der richtigen Richtung unterwegs war. Er kam durch pittoreske Gassen winziger, farbenfroh bemalter Unterkünfte, vor deren Türen in rostigen Eisenfässern Blumen und Gartenkräuter wuchsen und Wäsche an Leinen quer über den Weg trocknete. Kinder spielten hier mit Katzen und sahen ihm neugierig nach, und eine Frau winkte ihn heran, um ihm ein ausgetretenes Paar Turnschuhe zu schenken – ein Geschenk, das ihm die Tränen in die Augen trieb. Er suchte sich seinen Weg durch elend

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