Eine Billion Dollar
Brocken, an denen er sich wundschlug. Es stank gottserbärmlich. Er versuchte, sich herumzuwälzen, aber bei jeder Bewegung, die er machte, bewegte sich das, worauf er lag, in unheilvoller Weise; so, als könne er jederzeit darin versinken.
So blieb er in einer unbequemen Seitenlage liegen, die Füße zusammengebunden, die Arme auf den Rücken gefesselt, das Gesicht auf dem Boden. Nach und nach drang ein Gestank durch den Stoff seiner Maske, wie er ihn noch nie erlebt hatte, ein unglaubliches Gemenge aus Fäulnis und Verrottung, Verwesung und Zersetzung, ein bestialischer Pesthauch nach Schimmel, Rost und Moder, gegen den die Luft in seinem Verlies geradezu keimfreier Wohlgeruch gewesen war. Mit ungläubigem Staunen begriff er, was seine Entführer mit ihm gemacht hatten. Dies war ein Müllplatz. Sie hatten ihn auf einen Müllplatz geworfen.
41
Die Kälte kam langsam, kroch zäh durch die Kleidung in die Haut und durchtränkte ihn unnachgiebig bis auf die Knochen. Und wie es immer kälter wurde, wurde es auch immer stiller. Zuerst hatte er weit weg Verkehr gehört und das Geräusch einer Maschine, doch die Maschine wurde irgendwann abgestellt, der Strom des Verkehrs versiegte, und alles, was er dann noch hörte, war sein eigener Atem.
Und ein grauenerregend deutliches Rascheln in der Tiefe.
Ratten.
John zuckte unwillkürlich zusammen, wälzte sich herum, sank ein Stück ein und verharrte voll Entsetzen. Natürlich, auf einem Müllplatz musste es Ratten geben. Ratten, die beißen konnten. Die einen Menschen ernsthaft verletzen konnten, töten womöglich. Er konnte nicht anders, als sich wimmelnde, pelzige, eklige Leiber vorzustellen, mit Nagezähnen und nackten Ringelschwänzen, die sich durch verrottende Lebensmittel und gärenden Müll wühlten auf der Suche nach Beute, und sein Körper bog sich wie von selbst vor Grauen, dass ihm fast die auf den Rücken gebundenen Arme brachen.
Vielleicht, wenn er still hielt. Vielleicht ließen sie ihn dann in Ruhe. Er wagte kaum zu atmen, lauschte, verfolgte jedes Knacken mit angespannten Sinnen, bereit, sich wild umherzuwerfen, sobald ihn ein Tier auch nur berührte, bereit zu schreien und zu toben, um es zu vertreiben. Wachsamkeit, das war es. Nur das konnte ihn retten.
Er erschrak, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter spürte, und merkte im selben Moment, dass er geschlafen haben musste. Der Lärm der Straße war wieder da, das Wummern der fernen Maschine, und es waren Schritte um ihn herum. Er fror, als habe er die Nacht in einem Kühlschrank verbracht, seine Arme waren zu tauben, fleischigen Anhängseln geworden, und seine abgeschnürten Füße fühlten sich an wie abgestorben.
»Hilfe!«, krächzte er und schüttelte den Kopf, erstickte schier an dem Stoff auf seinem Gesicht, der inzwischen klamm und klebrig war. »Binden Sie mich los, bitte!«
Stimmen über ihm unterhielten sich. Stimmen von Kindern. Eines stieß ihn an, mit dem Fuß, wie man ein überfahrenes Tier anstößt, um zu sehen, ob es noch lebt.
»So helft mir doch!«, schrie er und zappelte, um keinen Zweifel daran zu lassen, dass er nicht tot war. Verdammt, auch wenn er kein Spanisch sprach – war es denn so schwierig, herauszufinden, was er wollte? »Bindet mich los, ich bitte euch!«
Wieder spürte er Hände auf seinem Körper, kleine Hände mit flinken Fingern, doch sie lösten keine Knoten und banden keine Fesseln auf, sondern durchforschten die Taschen seiner Hose und seines Hemdes. Die Stimmen klangen enttäuscht, als die Hände nichts fanden, keine Brieftasche, kein Geld, keine Schlüssel. »He, verdammt noch mal!«, brüllte John, aber die Kinder machten keine Anstalten, ihm zu helfen. Sie schienen zu beratschlagen, dann entfernten sich ihre Schritte, raschelnd und knisternd auf dem Müll, und alles Schreien brachte sie nicht zurück.
So lag er weiter da, hilflos, verloren, und fühlte Schweiß seinen Körper entlangrinnen. Der zweifellos Tiere anlocken würde. Überhaupt, war nicht eigentlich Ursula schuld an seiner Lage? Nur weil sie ihn verlassen hatte, war er seinen Entführern in die Falle gelaufen. Wenn man seinen Leichnam eines Tages hier finden würde, würde sie davon erfahren und sich grämen, und das geschah ihr recht.
Jemand jammerte, und nach einer Weile merkte John, dass er es selber war. Ein Zittern hatte sich seines Körpers bemächtigt, das an den gefesselten Stellen schmerzte, aber er konnte es nicht anhalten. Ihm war erbärmlich elend; bestimmt kam das von
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