Eine Billion Dollar
während man unten entlang der Schräge um die besten Plätze rangelte, dann wurde mit durchdringendem Jammern die Pritsche angehoben, bis sich ihr Inhalt in die Tiefe ergoss. Es sah auf absurde Weise aus, als würde ein Füllhorn voller Wohltaten über die Müllfledderer ausgeleert.
Sofort entbrannte heftiger Streit um die besten Stücke. Jemand ergatterte ein Bündel Elektrokabel, ein anderer schleppte einen Sack Kleider davon, ein dritter schnappte sich ein verbeultes Mikrowellengerät. Flaschen wurden herausgelesen und wanderten in mitgeschleppte Plastikkübel, Holzteile schienen in jeder Größe verwertbar zu sein, Blechdosen stampfte man mit dem Absatz zusammen, ehe man sie in Tüten und Säcke stopfte.
Erst jetzt entdeckte John einige dickleibige Gestalten, auf Matratzenstapeln oder zerlumpten Sesseln am Rand des Geschehens hockend, zu denen die Sammler hinpilgerten, um ihre Beute vorzulegen, wiegen zu lassen und Geld dafür zu bekommen. Jeder dieser Häuptlinge schien für anderes Material zuständig, für Metalle der eine, für Plastik der andere, eine korpulente Frau kaufte Glas und ein fetter Mann Holz. Also ging es auch hier um Geld, wie überall. Wahrscheinlich konnte er auch hier anfangen zu fragen und zu bohren, um am Ende herauszufinden, dass alle diese Menschen den Müll durchwühlten und sammelten und sortierten, um ihren Teil zu seinem Vermögen beizutragen. Ihm wurde schlecht, von dem Gestank, von dem Ort, von allem.
Jemand rief. John brauchte eine Weile, bis er begriff, dass der Ruf ihm galt. »Kommen«, rief die Frau von der Hütte her, winkte. Er stemmte sich hoch, stapfte über Schutt und Scherben zurück, ein Rinnsal braunen, ölschimmernden Sickerwassers umgehend, das unter dem Müll hervorsuppte. Er sah, wie hinter der Frau ein Mann aus der Hütte kam, noch im Begriff, seine Hose zuzuknöpfen, und begriff, dass sie eine Prostituierte war.
Das Fieber kehrte zurück, bannte ihn zu Boden und bescherte seiner Gastgeberin Verdienstausfälle ohne Ende. Einmal erwachte er in der Nacht, sah sie eine Kerze vor dem Madonnenbild anzünden und inbrünstig beten und glaubte mit fiebriger Gewissheit, dass sie um seine Gesundung bat oder dass sie ihn jedenfalls auf anständige Weise los werde. Wenn er tags erwachte, saß ein Junge da, legte ihm nasse Tücher auf die Stirn und sah ihn ernst an.
»Wie heißt du?«, fragte John.
»Mande?«, sagte der Junge dann. Er mochte sieben sein oder noch jünger, trug eine kurze Hose und ein fleckiges, kariertes Hemd.
Er sah, wie sie vor der Tür auf offenem Feuer kochte, und wenn sie ihm eine Schüssel Suppe brachte, war sein Hunger stärker als alle Bedenken. Das schien ihr zu gefallen, jedenfalls lächelte sie dann immer und gab ihm mehr.
Das Fieber war zurückgekehrt, aber es verzehrte ihn nicht weiter, musste nur vollbringen, was es angefangen hatte, und ließ dann Tag um Tag nach. Bald saß er neben ihr, wenn sie kochte, und sah ihr zu; sie redete währenddessen unbefangen mit ihrem Kind, als ob es das Selbstverständlichste der Welt sei, dass er hier war. Ab und zu wechselten sie ein paar Worte, mithilfe ihres unbeholfenen Englisch und mit Händen und Füßen. Er erfuhr ihren Namen: Maricarmen Berthier. Das konnte sie sogar schreiben, und er ließ es sich von ihr auf ein kleines Stück Karton kritzeln, das er sorgfältig in seiner Tasche verstaute.
»Ich will mich erkenntlich zeigen, sobald ich kann«, erklärte er ihr, nicht wissend, wie viel davon sie verstand. »Ich habe bei jeder Bank auf der Welt ein Konto, kannst du dir das vorstellen? Ich muss nur hineingehen und sagen, wer ich bin, dann bekomme ich Geld. Und dann werde ich dich entschädigen. Mehr als das.«
Sie rührte in ihrem Topf und lächelte wehmütig, während er sprach.
Endlich fühlte er sich kräftig genug, aufzubrechen. Sie sagte ihm, er solle in westliche Richtung gehen. Er bedankte sich noch einmal und verabschiedete sich. Sie blieb vor ihrer Hütte stehen, die Arme vor der Brust verschlungen, als müsse sie sich selbst festhalten, und sah ihm nach, bis er außer Sicht war.
Als er die Straße erreicht hatte, hielt neben ihm ein kleiner Lastwagen, der vom Müllplatz kam, und er durfte bei dem Altmetall auf der Ladefläche mitfahren. Es ging mit einem Höllentempo über breite und schmale Straßen, an endlosen Slums vorbei, durch verqualmte Industriegebiete und seelenlose Hochhaussiedlungen, eine Strecke, für die er Tage zu Fuß gebraucht hätte, aber irgendwann fiel ihm
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